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14.10.2021 |

Welthungerindex offenbart Rückschritte bei der Hungerbekämpfung

WHI Karte
Welthunger-Index 2021 © Welthungerhilfe

Die weltweite Ernährungslage ist besorgniserregend und beim Kampf gegen den Hunger sind herbe Rückschläge zu verzeichnen. Das zeigt der Welthunger-Index (WHI) 2021, der am Donnerstag von der Welthungerhilfe präsentiert wurde. Langwierige gewaltsame Konflikte, die Auswirkungen des Klimawandels und die Corona-Pandemie haben dazu beigetragen, dass die Welt bei der Hungerbekämpfung deutlich vom Kurs abgekommen ist und das Ziel, den Hunger bis 2030 weltweit zu beseitigen, voraussichtlich verfehlen wird. Weltweit hungern nach UN-Angaben etwa 811 Millionen Menschen und 41 Millionen leben am Rande einer Hungersnot. „Unsere Befürchtungen im letzten Jahr haben sich leider bestätigt. Hungersnöte sind zurück und multiple Krisen lassen die Zahl der Hungernden immer weiter steigen. Die Corona-Pandemie hat die angespannte Ernährungslage in vielen Ländern des Südens noch einmal verschärft und Millionen Familien haben ihre Existenzgrundlage verloren. Die größten Hungertreiber bleiben aber Konflikte und der Klimawandel. Die Ärmsten und Schwächsten werden von den Folgen des Klimawandels besonders hart getroffen, obwohl sie am wenigsten dazu beitragen“, sagte Marlehn Thieme, Präsidentin der Welthungerhilfe.

Der Welthunger-Index wird jedes Jahr von der Welthungerhilfe und Concern Worldwide herausgegeben. Die diesjährige Ausgabe wertete Daten zur Ernährungslage von 135 Ländern aus und fasst im Index vier Indikatoren zusammen: Der Anteil der Unterernährten an der Bevölkerung gemessen an der Deckung des Kalorienbedarfs, den Anteil von Kindern unter fünf Jahren, die an Auszehrung leiden (zu niedriges Gewicht im Verhältnis zur Körpergröße) oder die wachstumsverzögert sind (zu geringe Körpergröße im Verhältnis zum Alter, ein Anzeichen für chronische Unterernährung) sowie die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf. Darauf basierend wird der WHI-Wert auf einer 100-Punkte-Skala ermittelt, wobei 100 der schlechteste Wert ist. Die Lage jedes Landes wird als niedrig, mäßig, ernst, sehr ernst oder gravierend eingestuft. Für 116 Länder lagen 2021 verlässliche Daten zu allen Indikatoren vor, während 19 Länder eine unvollständige Datenlage aufwiesen, sodass kein WHI-Wert berechnet werden konnte. Demnach ist in fast 50 Ländern die Hungersituation nach wie vor ernst, sehr ernst oder gravierend. In Somalia herrscht eine gravierende Hungersituation. In den fünf Ländern Zentralafrikanische Republik, Tschad, Demokratische Republik Kongo, Madagaskar und Jemen ist die Hungersituation sehr ernst und wird in vier weiteren Ländern – Burundi, Komoren, Südsudan und Syrien – vorläufig als sehr ernst bewertet. Für 31 Länder wird das Ausmaß an Hunger als ernst und für weitere sechs Länder vorläufig als ernst eingestuft.

Doch die Welthungerhilfe zeichnet auch ein düsteres Bild für die nächsten Jahre. Wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen, wird die Weltgemeinschaft das Agenda 2030-Ziel, den Hunger in der Welt bis 2030 vollständig zu besiegen, nicht erreichen können. Für 47 Länder ist demnach ausgeschlossen, dass sie bis 2030 ein niedriges Hungerniveau erzielen werden. Davon befinden sich 28 in Afrika südlich der Sahara, während die übrigen Länder in Südasien, Westasien, Nordafrika, Ost- und Südostasien, Lateinamerika und der Karibik liegen. Zwar zeigen die WHI-Werte eine Verbesserung der globalen Hungerlage seit 2000, doch die Fortschritte verlangsamen sich. Während der globale WHI-Wert zwischen 2006 und 2012 um 4,7 Punkte von 25,1 auf 20,4 sank, fiel er seither nur noch um 2,5 Punkte. „Nach Jahrzehnten des Rückgangs steigt die weltweite Verbreitung von Unterernährung, einem der vier Indikatoren des WHI. Diese Entwicklung könnte ein Vorzeichen dafür sein, dass sich auch andere Hungerindikatoren umkehren“, heißt es im Bericht. Die aktuellsten Prognosen der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO stützen die negativen Prognose bezüglich des Erreichens des 2. UN-Nachhaltigkeitsziels: Unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie werden voraussichtlich 657 Millionen Menschen (fast 8% der Weltbevölkerung) im Jahr 2030 unterernährt sein – etwa 30 Millionen mehr als ohne die Pandemie.

Im Fokus des diesjährigen Berichts steht die fatale Wechselwirkung von Konflikten und Hunger. Die Anzahl der gewaltsamen Konflikte hat in den letzten Jahren wieder zugenommen. In acht von zehn Ländern mit einer sehr ernsten oder gravierenden Hungersituation tragen Konflikte maßgeblich zum Hunger bei. „Mehr als die Hälfte aller unterernährten Menschen lebt in Ländern, die von Gewalt, Konflikt und Fragilität geprägt sind. Wo Krieg herrscht, werden Ernten, Felder und wichtige Infrastruktur zerstört. Die Menschen verlassen ihre Dörfer aus Angst vor Kämpfen und Übergriffen und sind auf humanitäre Hilfe zum Überleben angewiesen. Wo Hunger und Armut herrschen, nehmen aber auch Konflikte zu“, erklärt Thieme. Sie fordert tragfähige politische Konfliktlösungen und eine Stärkung des Rechts auf Nahrung: „Der Einsatz von Hunger als Kriegswaffe muss endlich konsequent sanktioniert werden.“ Doch auch der Klimawandel ist ein Hungertreiber. „Bereits jetzt verschärft der Klimawandel die Ernährungsunsicherheit durch höhere Temperaturen, veränderte Niederschlagsmuster und häufigere Extremwetterereignisse; und die Auswirkungen sind weitverbreitet, rasant und intensivieren sich“, schreiben die Autoren des Berichts. Die Hungersituation ist in jenen Ländern deutlich schlechter, die besonders anfällig für typische Klimafolgen wie Regen- und Temperaturextreme sind, insbesondere in stark von der Landwirtschaft abhängigen Volkswirtschaften. „Die Klimakrise ist eine Frage der Gerechtigkeit. Daher brauchen wir auf der anstehenden Klimakonferenz im November in Glasgow klare und verbindliche Ziele für die Reduzierung des CO² Ausstoß sowie finanzielle Unterstützung für die Förderung von Klimaresilienz“, fordert Thieme.

Auch Entwicklungsminister Gerd Müller fordert im Vorfeld des Welternährungstags am 16. Oktober ein entschlossenes Vorgehen im Kampf gegen den Hunger und den Klimawandel. „Wo Menschen ihre Lebensgrundlagen verlieren und nichts mehr zu essen haben, verlassen sie ihre Heimat und es kommt zu Verteilungskonflikten. Und vor allem in Konfliktgebieten breitet sich der Hunger aus“, sagte er der Augsburger Allgemeinen. Dieser Teufelskreis drehe sich etwa im Jemen, in der Sahel-Region oder im Krisenbogen um Syrien immer weiter. „Wir müssen Hunger- und Armutsbekämpfung endlich als vorausschauende Friedenspolitik verstehen und ganz oben auf die Agenda der Weltpolitik setzen“, so der scheidende Minister. Schon vor Jahren sagte der Schweizer Soziologe und einstige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler: „Ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet“. Müller wählt in seinem Appell ähnliche Worte: „Über 800 Millionen Menschen leiden Hunger. Am Welternährungstag verhungern 15.000 Kinder, so wie an jedem anderen Tag. Das ist ein unglaublicher Skandal. Die Erde verfügt über genug Ressourcen, alle zu ernähren. Hunger ist Mord. Denn wir haben das Wissen und die Technologie, alle Menschen satt zu machen.“ (ab)

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