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06.09.2021 |

UN-Experte: UNFSS setzt auf Konzerne statt Beteiligung der Zivilgesellschaft

Michael Fakhri
Michael Fakhri (Photo: Michael Fakhri/OHCHR)

Der anstehende UN-Welternährungsgipfel (UNFSS) schließt kleinbäuerliche und zivilgesellschaftliche Gruppen aus, verkennt die Ursachen von Hunger und Mangelernährung und befördert die Machtkonzentration von Unternehmen in Ernährungssystemen, anstatt diese anzugehen. Menschenrechte und Rechenschaftspflichten fehlen auf der Agenda des Gipfels gänzlich. Das kritisiert der UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung, Michael Fakhri, in einem kürzlich erschienenen Positionspapier. Der Termin für den Gipfel steht nun: Am 23. September wird in New York im Rahmen der UN-Generalversammlung über die Zukunft der Ernährungssysteme, notwendige Veränderungen und darüber diskutiert, wie die UN-Nachhaltigkeitsziele bis 2030 noch erreicht werden sollen. Ende Juli fand in Rom bereits ein dreitägiger Vorbereitungsgipfel statt. Schon vorab hagelte es seitens der Zivilgesellschaft massive Kritik, da der UNFSS durch eine Partnerschaft zwischen UN und Weltwirtschaftsforum initiiert wurde, dem die größten Unternehmen weltweit angehören, und Dr. Agnes Kalibata, die Präsidentin der umstrittenen Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA), zur UN-Sondergesandten für den Gipfel ernannt wurde. Aber auch die fehlende Einbeziehung der Zivilgesellschaft (abgesehen von einigen handverlesenen Organisationen) und derer, die eine zentrale Rolle für Lebensmittelproduktion und Ernährung spielen, führte dazu, dass hunderte NGOs den Prozess nun boykottieren. „The People’s Summit has arrived!”, prangt jetzt zwar auf der Webseite des Gipfels. Doch UN-Sonderberichterstatter Fakhri wirft dem UNFSS vor, eben nicht dieser Gipfel der Zivilgesellschaft und der Völker zu sein. „Letzte Chance, um den Welternährungsgipfel zu einem wahren People’s Summit zu machen“ lautet daher der Titel seines Papiers, in dem er seine eigenen Beobachtungen zum Prozess und Rückmeldungen von NGOs und UN-Mitgliedsstaaten zusammenfasst und Empfehlungen für den Gipfel und dessen Nachbereitung gibt.

Der Sonderberichterstatter will mit dem Papier den Mitgliedstaaten Anregungen liefern, wie es gelingen kann, dass der Gipfel erfolgreich dazu beiträgt, dass Lebensmittelsysteme den Menschen und dem Planeten dienen und Herausforderungen wie Hunger, Ungerechtigkeit und die COVID-19-Pandemie überwunden werden, und ein „wirklich transformatives, rechtebasiertes und multilaterales Ereignis“ abgehalten wird. Das Dokument wurde am 19. August fertiggestellt, aber mittlerweile scheint Fakhri eher pessimistisch, dass dies noch passieren wird. „Als ich das Papier schrieb, dachte ich, es gäbe noch eine letzte Chance, den Gipfel zu retten. Es ist nun klar, dass dies KEIN Gipfel der Völker ist“, twitterte er jedoch am 4. September. In dem Kurzdossier benennt er vier zentrale Kritikpunkte: Erstens spiele die COVID-19-Pandemie in den Beratungen kaum eine Rolle. „Der Gipfel wurde unmittelbar vor dem Ausbruch von COVID-19 angekündigt. Als sich daraus eine Pandemie entwickelte und die Auswirkungen auf die globalen Ernährungssysteme und die Ernährungssicherheit deutlich wurden, wurden die Ziele des Gipfels nicht an die neue Realität angepasst“, schreibt Fakhri. Er kritisiert, dass der Vorgipfel trotz der verheerenden Folgen der Pandemie nicht einmal eine Veranstaltung dem Thema widmete. Dabei seien multilaterale Maßnahmen nötig, um die Auswirkungen von COVID-19 auf das Recht auf Nahrung aller Menschen anzugehen, gerade der ärmsten, verletzlichsten und am stärksten marginalisierten Personen.

Zweitens hat der UNFSS es Fakhri zufolge versäumt, die eigentlichen Ursachen von Hunger und Mangelernährung zu berücksichtigen. Hunger, Unterernährung und Hungersnöte würden durch politisches Versagen und schlechte Regierungsführung verursacht und nicht durch die Knappheit von Nahrungsmitteln. Der Schwerpunkt des Gipfels liege jedoch darauf, wie die Produktion durch neue Technologien nachhaltig gesteigert werden könne. „Die Herausforderungen, vor denen unsere Ernährungssysteme stehen, liegen jedoch darin, einen besseren und gerechteren Zugang zu gewährleisten: Es geht um die Frage, wie und von wem Lebensmittel produziert werden und wer den größten Nutzen aus ihrer Verarbeitung und ihrem Handel zieht. Selbst auf dem Höhepunkt der Pandemie bestand die größte Bedrohung für die Ernährungssicherheit und die Ernährung nicht darin, dass keine Lebensmittel zur Verfügung standen“, erklärt Fakhri. „Die Menschen hatten weniger Zugang zu angemessenen Nahrungsmitteln, weil sie ihre Arbeit, ihre Lebensgrundlage oder ihr Zuhause verloren hatten“. Zudem schenke der Gipfel jüngsten Fortschritten im Bereich Agrarökologie und territoriale Märkte nicht genügend Aufmerksamkeit, bemängelt Fakhri.

Als drittes Problem nennt der Sonderberichterstatter die Machtkonzentration von Unternehmen, die beim Gipfel der „Elefant im Raum“ bleibt. Transnationale Konzerne beherrschen „den Weltmarkt vom Saatgut bis hin zum Supermarkt“, schreibt er, doch der UNFSS versäume es, „die Rolle und Verantwortung des Unternehmenssektors in den Lebensmittelsystemen anzusprechen“. Denn durch Machtungleichgewicht und -konzentration profitieren transnationale Konzerne, während die Besitzverhältnisse, Menschenrechte und Lebensräume lokaler Gemeinschaften gefährdet sind. Der UN-Experte teilt zudem die von vielen geäußerten Bedenken, dass technologiegetriebene Innovationen und der Fokus auf ein gewisses Wissenschaftsmodell, das auf dem Gipfel promotet wird, die Gefahr bergen, die Bedürfnisse von Kleinbauern weiter zu marginalisieren. „Dieser Ansatz ignoriert die Tatsache, dass Kleinbauern etwa 70% der Lebensmittel produzieren und gleichzeitig die Agrobiodiversität bewahren und für Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel sorgen.“ Er ignoriere auch, dass indigene Völker auf ihrem Land 80% der Artenvielfalt des Planeten bewahren. Bäuerinnen und Bauern, Landarbeiter und indigene Völker rund um den Globus sind der Gnade der Konzerne ausgeliefert, und es ist kein Zufall, dass sie unter Hunger, Unterernährung und Rechtsverletzungen leiden“, heißt es in dem Positionspapier.

Viertens kritisiert Fakhri, dass der Multi-Stakeholder-Ansatz des Gipfels eine Nebelkerze sei, um Partizipation zu verhindern. „Der so genannte Multi-Stakeholder-Ansatz des Gipfels ist weder transparent, noch hat er den betroffenen Gemeinschaften und der Zivilgesellschaft sinnvolle Möglichkeiten zur Beteiligung geboten. Der Entscheidungsfindungsprozess war von oben nach unten und undurchsichtig. Der von Agrarkonzernen, Denkfabriken und Philanthropen beeinflusste Gipfel spiegelte nicht die reiche Geschichte der Partizipation und Inklusivität bei multilateralen UN-Foren wider“, schreibt Fakhri. Bei der Vorbereitung habe eine interaktive und sinnvolle Beteiligung von Basisbewegungen, indigenen Völkern, Kleinbauern, Hirten, Fischern und Menschenrechtsgruppen gefehlt. Darum hätten Millionen Menschen beschlossen, den Gipfel über den Mechanismus für die Zivilgesellschaft und indigene Völker (CSM) des UN-Welternährungsausschusses (CFS) zu boykottieren. Ende Juli wurde ein Alternativgipfel zum offiziellen Pre-Summit veranstaltet.

Der Sonderberichterstatter hat auch Empfehlungen zur Verbesserung des UNFSS-Prozesses parat. Fakhri zufolge sollte die UN-Mitgliedsstaaten weiter mobilisieren und den Gipfel mithilfe eines menschenrechtsbasierten Ansatzes bewerten, der sich auf die sieben Prinzipien Partizipation, Rechenschaftspflicht, Nicht-Diskriminierung, Transparenz, Menschenwürde, Empowerment und Rechtsstaatlichkeit stützt. Er riet davon ab, im Nachgang des UNFSS neue Institutionen zu schaffen. Stattdessen solle das Follow-Up zum Gipfel in den bestehenden multilateralen UN-Foren erfolgen. „Der UN-Welternährungsausschuss sollte der Ort sein, an dem die Ergebnisse des Gipfels letztendlich diskutiert und bewertet werden, indem seine inklusiven Beteiligungsmechanismen genutzt werden.“ Schließlich empfiehlt Fakhri, die Ergebnisse des Gipfels anhand eines Menschenrechtsrahmens zu bewerten. Dazu gehöre das Stellen der Frage, welchen Beitrag die Ergebnisse und alle Folgemaßnahmen und Überprüfungen des Gipfels zur Verwirklichung des Rechts aller auf Nahrung und der Menschenrechte im Allgemeinen leisten. Dazu nennt Fakhri vier Fragen, mit denen überprüft werden kann, ob die Probleme in den vier kritisierten Bereichen angegangen wurden. Zum Thema Unternehmenskonzentration z.B. sei zu beantworten, wie die Ergebnisse des Gipfels auf die Ursachen des Problems eingehen und sicherstellen, dass Unternehmen und andere Akteure für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden. Was die Partizipation anbelangt, seien die Ergebnisse daran zu messen, inwiefern sie auf einem Verständnis von Handlungsfähigkeit beruhen, das die Kontrolle der Ernährungssysteme in die Hände der Menschen in ihrer Eigenschaft als Träger*innen von Rechten legt. (ab)

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