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06.11.2020 |

WBGU fordert „Landwende“ und Ökologisierung der Landwirtschaft

Feld
Der WBGU will eine Landwende (Foto: CC0)

Nur wenn sich unser Umgang mit Land von Grund auf ändert, kann das Schwinden der Artenvielfalt gebremst und das globale Ernährungssystem nachhaltiger gestaltet werden. Darauf verweist der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in einem neuen Gutachten und fordert eine „Landwende“. Daran, dass dringender Handlungsbedarf besteht, lassen die Expert*innen des Beirats keine Zweifel. Beim Klimaschutz sieht es düster aus: Das Erreichen der Pariser Klimaschutzziele scheint nur noch möglich, wenn neben der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft Landflächen verstärkt genutzt werden, um der Atmosphäre CO2 zu entziehen. Das globale Ernährungssystem steckt in der Krise: 690 Millionen Menschen sind chronisch unterernährt, weitere 1,3 Milliarden sind von Mangelernährung aufgrund von Mikronährstoffdefiziten betroffen. Zugleich sind 1,9 Milliarden Menschen übergewichtig oder adipös. Land ist die Grundlage unserer Ernährung, doch zugleich bedrohen Umweltschäden und andere externe Effekte der industriellen Landwirtschaft die natürlichen Lebensgrundlagen. Auch die Biodiversität nimmt weltweit dramatisch ab: Damit verringert sich auch die Kapazität der Ökosysteme, zu Klimaregulierung und Ernährungssicherung beizutragen. Die vielfältigen Ansprüche an Land für Klimaschutz, Ernährungssicherung und Biodiversitätserhaltung treten in Konkurrenz zueinander, während sich Landdegradation auf alle drei Bereiche negativ auswirkt. Der WBGU spricht von einem „Trilemma der Landnutzung“.

Doch das Gutachten zeigt, wie diese vermeintlichen Konkurrenzen zwischen Nutzungsansprüchen durch eine Kombination von Schutz und multiplen Nutzungen in der Landschaft überwunden werden können. Es schlägt dazu fünf Strategien vor, mit denen Mehrgewinne erzielt werden können. Erstens soll die Renaturierung von Landökosystemen massiv vorangetrieben werden. Das im Rahmen der Bonn Challenge gesteckte Ziel der Renaturierung von 350 Millionen Hektar degradierter Landfläche solle bis 2030 übertroffen werden. Dabei soll der Fokus auf der Wiederherstellung biodiverser und standortgerechter Wälder, Feuchtgebiete und Graslandschaften liegen, um zugleich einen Mehrgewinn durch die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre zu erzielen, was natürlich kein Ersatz für die Verringerung der Emissionen sei. Zweitens sollte es mehr effektive, vernetzte Schutzgebietssysteme geben, um die globale Biodiversitätskrise abzumildern. Die terrestrischen Schutzgebietssysteme sollten auf 30% der Erdoberfläche ausgeweitet werden. Dies bringe einen Mehrgewinn für den Klimaschutz und erhalte langfristig Potenziale für die Ernährungssicherung.

Drittens sei mehr Unterstützung für eine auf Vielfalt beruhende Landwirtschaft nötig, damit die Landwende gelingen kann. „Daher empfiehlt der WBGU, die bislang weitgehend monofunktional auf Produktion ausgerichteten Landwirtschaftssysteme in Richtung ökologisch intensiver multifunktionaler Systeme wie z. B. Agroforstwirtschaft zu transformieren und dabei Menschen, agrarökologische Praktiken und die Erbringung von Ökosystemleistungen ins Zentrum zu stellen“, heißt es. Die Bundesregierung müsse den Schwerpunkt auf die erforderliche Transformation der EU-Agrarpolitik legen. Der WBGU empfiehlt eine „Abkehr von der industriellen Landwirtschaft durch ihre umfassende Ökologisierung“. „Agrarsubventionen sollten immer an ökologische Verbesserungen geknüpft werden, die möglichst auf multifunktionale Produktionssysteme setzen. Flächenbasierte Direktzahlungen sollten in Zahlungen für Ökosystemleistungen umgewandelt werden. Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen mit besonders positiven Effekten für die Erhaltung der biologischen Vielfalt („dunkelgrüne Maßnahmen“), sollten trotz des höheren Verwaltungsaufwands weiterentwickelt werden.“ Schade, dass die aktuelle EU-Agrarreform diese Umsetzung bisher verschlafen hat.

Das Gutachten enthält noch weitere Empfehlungen im Bereich Landwirtschaft: „Im Sinne einer Kreislaufwirtschaft sollten der Pflanzenbau mit der Tierhaltung verknüpft, Nährstoffkreisläufe geschlossen sowie steigende Nährstoffeffizienz und verbessertes Nährstoffrecycling (besonders von Phosphor, aber auch von Stickstoff und weiteren Nährstoffen) angestrebt werden.“ Zudem raten die Expert*innen zu Aus- und Weiterbildungsprogrammen, die über diversifizierte landwirtschaftliche Produktionssysteme und agrarökologische Praktiken informieren. Sie blicken auch über den europäischen Tellerrand hinaus: Subsahara-Afrika benötige eine nachhaltige Produktivitätssteigerung der Subsistenzlandwirtschaft, damit langfristig die Bodenqualität erhalten bleibt. Das erfordere finanzielle Unterstützung, nicht nur für Materialien, sondern auch für den zusätzlich notwendigen Arbeitseinsatz, „damit Landwirt*innen und Viehhirt*innen bereit sind, den Mehraufwand während der mehrjährigen Anpassungsphase, die zur Wiederherstellung der Böden notwendig ist, auch ohne Erträge zu übernehmen“. Damit die globale Agrarwende gelingt, sei auch eine stärkere Ausrichtung des internationalen Handels an Nachhaltigkeitskriterien nötig. Zertifizierungsprogramme (z.B. Fairtrade, Bio-Siegel) sollten verbessert oder geschaffen werden (z.B. Klimasiegel für Agrarprodukte).

Als vierte Strategie zur Milderung des Druck auf Landökosysteme nennt der WBGU die Transformation der Ernährungsstile in den Industrieländern, besonders durch die Verringerung des Anteils an tierischen Produkten. „Die erforderliche Transformation der Ernährungsstile kann durch konsequente Veränderung der Rahmenbedingungen, nachhaltigkeitsorientierte Normsetzung und Schaffung entsprechender Anreize für die Wirtschaft und Konsument*innen entscheidend befördert werden“, so die Autor*innen. Eine Orientierung an der „Planetary Health Diet“, die weniger Fleisch vorsieht, sollte als Grundsatz in Ernährungsleitlinien verankert und bei öffentlichen Gemeinschafts- oder Pausenverpflegungen angewandt werden. Außerdem ist es laut WBGU dringend erforderlich, Rahmenbedingungen zu setzen, damit die durch Ökosysteme erbrachten Leistungen sowie die Kosten ihrer Degradation möglichst vollständig in die Preise für Nahrungsmittel einfließen. So sollten bisher vernachlässigte externe Kosten aus Klimawandel und Umweltzerstörung systematisch erforscht, erfasst und eingepreist werden. Als fünfte Strategie wird das Bauen mit Holz als effektive Möglichkeit bezeichnet, langfristig Kohlenstoff zu speichern, wenn das Holz dafür aus standortgerechter, nachhaltiger Waldwirtschaft stamme. Bundesumweltministerin Svenja Schulze, die das Gutachten am 3. November in Berlin entgegennahm, sagte: „Palmöl im Tank, Mais-Monokulturen oder zu viele Tiere auf zu wenig Fläche – es gibt leider viele Beispiele, in denen Nahrungsmittelproduktion, Klima- und Naturschutz miteinander im Konflikt stehen. Die gute Nachricht ist: Das muss nicht so bleiben, wenn wir die vom WBGU vorgeschlagene Landwende ernst nehmen. Wenn man Klimaschutz, Naturschutz und Ernährung zusammendenkt, kann ein dreifacher Nutzen dabei herauskommen. Hier ist kluge Politik gefragt, die über den eigenen Tellerrand schaut.“ Bleibt zu hoffen, dass die Politik die Vorschläge des WBGU in die Tat umsetzt. (ab)

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