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05.06.2020 |

Qual der Wahl: die komplexe Klimabilanz unserer Lebensmittel

Obst
Qual der Wahl (Foto: CC0)

Die Klimabilanz von Lebensmitteln kann höchst unterschiedlich ausfallen – je nach Anbau- und Transportform, Saison, Herkunft und Verpackung. Verbraucherinnen und Verbraucher stehen im Supermarkt häufig vor der Entscheidung, ob sie zur plastikverpackten Biogurke aus Spanien oder der unverhüllten Gurke aus konventionellem Anbau in Deutschland greifen sollen oder ob im Winter frische Tomaten aus hiesigen Gewächshäusern klimafreundlicher sind als die passierten Tomaten im Glas. Unzählige Faktoren gilt es zu berücksichtigen und wer Studien und Klimarechner zu Rate zieht, bleibt oft ratlos zurück, da man sich schnell im Dickicht der diversen Bezugsgrößen und zugrunde gelegten Daten verirrt. Nun liefert das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) eine neue Studie, die dem Verbraucher Orientierung bieten soll und den ökologischen Fußabdruck von 200 Lebensmitteln und Gerichten ermittelt. Ihr Grundfazit lautet: Frisches, saisonal und regional angebautes Obst und Gemüse ist meist deutlich klimafreundlicher als außerhalb der Saison importierte Lebensmittel aus entfernten Regionen. Und eine Umstellung auf weniger Fleisch und Milchprodukte ist die wichtigste Stellschraube für eine nachhaltige Ernährungswende.

Die Autoren untersuchten fünf Produktgruppen, darunter Obst, Gemüse, Fleisch- und Milchprodukte sowie vegetarisch-vegane Ersatzprodukte. Ein Schwerpunkt der Studie ist der Einfluss unterschiedlicher Lebensmittel-Bereitstellungsprozesse auf den CO2-Fußabdruck eines Lebensmittels, z.B. Verpackung, Transporte und Anbausysteme. Eine Rolle spielt auch, auf welchen Flächen Lebensmittel angebaut werden und ob etwa tropische Regenwälder für den Anbau von Palmöl gerodet oder wie in Deutschland Moorgebiete für die Landwirtschaft umgewandelt werden. Das ifeu betont, dass bei allen Lebensmitteln Flächennutzungsänderungen konsequent eingerechnet wurden. Und die Studie unterscheidet, ob es sich um die Bilanz eines Lebensmittels an der Supermarktkasse handelt oder fertig zubereitet auf dem Teller.

„Bei unseren Lebensmitteln im Supermarkt hängt die Umwelt- und Klimabilanz oft weniger am Produkt als daran, wo und wie diese Produkte angebaut und danach transportiert und verpackt wurden“, sagt der Leiter der Studie, Dr. Guido Reinhardt. Frisch geerntete Äpfel aus Deutschland schneiden wenig überraschend besser ab als aus Neuseeland. Eine frische Ananas, die per Schiff zu uns transportiert wird, schlägt mit 0,6 CO2-Äquivalenten pro Kilo (kg CO2-Äq.) zu Buche, während per Flugzeug 15,1 kg CO2-Äq. erzeugt werden und damit 25 Mal mehr. Hier schneidet die Dosenananas im Vergleich zur frischen Flugananas besser ab mit 1,8 kg CO2-Äquivalenten. Die frische Erdbeere aus der Region weist einen Wert von 0,3 und aus Spanien von 0,4 auf im Vergleich zu den frischen Wintererdbeeren mit 3,4 – hier ist außerhalb der Saison Tiefkühlware besser mit einem Wert von 0,7. Regionale Produkte sind also nicht immer besser. Das gilt auch für die Tomate, die in der Saison in Deutschland mit 0,3 kg CO2-Äq. siegt, aber im Winter aus dem mit fossiler Energie beheizten Gewächshaus mit 2,9 gegenüber der Freilandtomate aus Südeuropa das Nachsehen hat. Aber auch der Einkaufsweg zählt: Wenn Hofläden oder Wochenmärkte extra mit dem Auto angefahren werden, um zwei Kilo Kartoffeln oder Spargel zu kaufen, dann habe man eine 20- bis 30-fach höhere CO2-Freisetzung als bei der Herstellung des Lebensmittels selbst, erklärt Reinhardt im Deutschlandfunk.

Bei der Verpackung fällt die Bilanz ebenfalls höchst unterschiedlich aus. „Die Einwegverpackung aus Metall oder Glas hat in vielen Fällen einen größeren Klimaeffekt als das eigentliche Lebensmittel. Das gilt auch für viele Getränke wie Wein und Bier – oft kommt es mehr auf die Hülle als den Inhalt an“, so Dr. Reinhardt. Hier hat beim Bier die 0,5l-Glasmehrwegflasche mit 0,9 die Nase vorne vor der 0,5l-Weißblechdose mit 1,0. Wer für seine Spaghettisoße Tomatenmark kauft, verursacht 4,3 kg CO2-Äquivalente, während der Durchschnittswert frischer Tomaten 0,8 beträgt, gefolgt von passierten Tomaten im Verbundskarton (1,6), in der Dose (1,8) und im Glas (1,9). Der zweite Teil der Studie widmet sich der „Systemgrenze Teller“ und untersucht die Klimabilanz verschiedener Gerichte. „Rind und Reis haben nicht nur einen hohen Klimaeffekt, sondern benötigen für die Erzeugung zusätzlich sehr viel Dünger und Wasser“, sagt Dr. Reinhardt. Greift man bei der Lasagne statt zu Rinderhack (1,6) zu klimafreundlicherem Schweinefleisch (1,0) oder Sojagranulat (0,7), verringert sich der Fußabdruck. Statt Reis als Beilage kann man Kartoffeln oder Dinkel verwenden. Das verursache nicht nur weniger Klimagase, sondern auch einen halb so großen Flächen- und Dünger-Fußabdruck und ein hundertfach geringeren ökologischen Fußabdruck bei Wasser, erläutert Reinhardt.

Beim Vergleich Bio versus konventionell zeigt sich, dass Fleisch, Milch und Eier aus Bioproduktion in einigen Fällen schlechter abschnitten als Produkte aus konventioneller Landwirtschaft. Als Grund wird angeführt, dass Biobetriebe bei diesen Produkten mehr Fläche benötigen, um dieselbe Menge zu produzieren. Daher wurden den Berechnungen höhere Hektarzahlen zugrunde gelegt, was zu höheren CO2-Emissionen führen kann. Für die Biobutter haben die Autoren 11,5 kg CO2-Äq. berechnet gegenüber 9,0 bei der normalen Butter. Die Biovollmilch im Verbundkarton verursacht 1,7, während die konventionelle Vollmilch mit der gleichen Verpackung 1,3 erzeugt. „Hier zeigt sich, dass der alleinige Blick auf die CO2-Emissionen nicht die ganze ökologische Wahrheit sagt“, betont jedoch der Studienleiter. „Die etwas höheren Emissionen werden durch den deutlich geringeren Pestizideinsatz, nachhaltigere Bodenbewirtschaftung und Erhöhung der Artenvielfaltviel mehr als wieder wettgemacht. Gerade in der Landwirtschaft kann ein allein auf die CO2-Emissionen eingeengter Blick die ökologische Gesamtbewertung stark verfälschen“, schlussfolgert Reinhardt. (ab)

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