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15.11.2019 |

Freisetzung von Gentechnik-Organismen gefährdet den Artenschutz

Monarch
Vorbild für die Monarch-Fliege (Foto: CC0)

Die Ausbreitung von Pflanzen und Tieren, in deren Erbgut mit neuen Gentechnikverfahren wie der Gen-Schere CRISPR/Cas eingegriffen wurde, könnte fatale Folgen für den Artenschutz haben. Davor warnt ein am Mittwoch veröffentlichter Bericht des Instituts für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie (Testbiotech). Das für den Deutschen Naturschutzring (DNR) erstellte Papier zeigt anhand von Beispielen, wie Fliegen, Bienen, Bäume und Korallen, die Risiken und möglichen Konsequenzen auf, die mit der Ausbreitung von Gentechnikorganismen in natürlichen Populationen verbunden sind. „Freisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen, die sich in den natürlichen Populationen ausbreiten und vermehren, könnten die Stabilität ökologischer Systeme rasch überfordern. Die neuartigen Organismen können wie ‚Störsender‘ auf ihre Umwelt und die Netzwerke der biologischen Vielfalt wirken und das Artensterben beschleunigen“, warnt der Autor des Berichtes, Christoph Then.

Zunächst führt der Bericht als Beispiel für die unkontrollierte Ausbreitung von Organismen auch ohne Gentechnik eine invasive Krebsart an. „Durch ein einziges biologisches Ereignis, das auch „Makromutation“ genannt wird, wurde aus dem Sumpfkrebs eine neue Art, der Marmorkrebs, der sich in seiner äußeren Erscheinungsform, seinem Verhalten und seiner genetischen Ausstattung von der ursprünglichen Art deutlich unterscheiden lässt“, schreibt Then. Die ursprünglich in Florida vorkommende Krebsart, die sich auch ohne Paarung vermehren kann, bereitet sich rasch in neuen Lebensräumen aus und verdrängt heimische Arten. In Madagaskar ist er zur Plage geworden und hat nun auch Deutschland erreicht. Das Beispiel zeige für die Risiken einer unkontrollierten Ausbreitung von Gentechnik-Organismen interessante Aspekte auf, so der Autor: „Die veränderten Eigenschaften der Krebse gehen auf Veränderungen in ihrem Erbgut zurück. Die Kenntnis dieser ‚Makromutation‘ bedeutet aber nicht, dass alle neuen Eigenschaften der Krebse vorhersagbar wären.“ Um ihr invasives Potenzial richtig abschätzen zu können, müsse man ihr tatsächliches Verhalten in der freien Umwelt und ihre speziellen phänotypischen Eigenschaften kennen. Die für eine Risikoprüfung relevanten Eigenschaften der Krebse ergeben sich erst in Wechselwirkung mit der Umwelt.

Mithilfe des Einsatzes der neuen Gentechnik können Eingriffe im Erbgut vorgenommen werden, die zwar nur sehr kurze DNA-Abschnitte betreffen, aber erhebliche biologische Wirkungen entfalten, heißt es im Bericht. Durch spezifische Muster der gentechnischen Veränderung entstehen neue Kombinationen genetischer Information, die erhebliche Risiken für Natur und Umwelt bergen. Als aktuelles Beispiel hierfür wird die ‚Monarch-Fliege‘ genannt. Bei Taufliegen wurden per CRISPR/Cas drei Veränderungen an einem Gen vorgenommen, um es an die Struktur eines ähnlichen Gens beim Monarchfalter anzugleichen. Eingesetzt wurden ein Verfahren, bei dem zwar keine zusätzlichen Gene in das Erbgut eingefügt werden, aber das Erbgut an drei Stellen gezielt so umgebaut wurde, dass daraus neue biologische Eigenschaften resultieren: Die Taufliegen werden gegenüber dem Gift bestimmter Pflanzen unempfindlich und können es auch speichern. Dadurch werden sie für ihre Fressfeinde selbst giftig. „Eine Freisetzung könnte erhebliche Folgen für die Nahrungsnetze und Ökosysteme haben, mit denen diese Fliegen in Wechselwirkung stehen“, warnt der Bericht. Zwar diene die ‚Monarch-Fliege‘ aktuell nur für Experimente im Labor, doch es gebe mittlerweile viele Anwendungen an Insekten, Bäumen, Nagetieren, Korallen und Mikroben, die für die Freisetzungen geplant sind. Deren Einsatz wird zum Teil sogar im Rahmen des Artenschutzes propagiert.

Ein Beispiel sind Esskastanienbäume, die gegen bestimmte Pilzerkrankungen resistent gemacht wurden. Denn in den USA hat ein aus Asien eingeschleppter Pilz zu drastischen Verlusten bei den natürlichen Beständen der Bäume geführt. Aktuell wird dort diskutiert, ob die Gentechnik-Bäume ohne weitere Auflagen zur Anpflanzung freigegeben werden sollen. Es sei weitgehend unbekannt, wie die Gentechnik-Bäume auf weitere Schadpilze, den Klimawandel oder andere Stressoren reagieren. Die Bäume oder ihre Nachkommen könnten Eigenschaften entwickeln, die in der ersten Generation nicht beobachtet wurden. Dies führe zu erheblichen Unsicherheiten in der Risikoabschätzung. „Wenn Pollen der Gentechnik-Bäume durch Wind verbreitet wird oder ihre Samen durch menschliche Aktivität oder durch Tiere verschleppt werden, können sich die Bäume bzw. ihre Nachkommen unkontrolliert in den Wäldern ausbreiten“, warnt Then. „Ihre Gene könnten sich dann auch in den verbleibenden Wildpopulationen ausbreiten. Sollten dann Schäden an den Ökosystemen beobachtet werden, kann es längst zu spät sein, um die Bäume wieder aus der Umwelt zu entfernen.“

Angesichts der ökologischen Risiken appellieren Testbiotech und DNR an die Politik, zwei Regeln im Umgang mit der neuen und alten Gentechnik zu beachten. Erstens sollten Freisetzungen strikt an die Möglichkeit einer wirksamen raum-zeitlichen Kontrollierbarkeit bzw. die Rückholbarkeit der Gentechnik-Organismen gebunden sein. „Jegliche Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen ohne ausreichende räumliche und zeitliche Kontrolle gleicht einem Russisch-Roulette mit der biologischen Vielfalt“, schreibt Then. Zweitens sollten die Regulierung und Zulassungspflicht, ausgehend von den jeweiligen Verfahren, alle Organismen erfassen, die mit Gentechnik in ihrem Erbgut verändert sind, auch wenn keine zusätzlichen Gene eingefügt wurden. Undine Kurth, Vizepräsidentin des DNR, kritisierte, dass die derzeitige Debatte über die Gefahren (neuer) Gentechnik-Verfahren viel zu kurz greife. „Wirtschaftliche Argumente können keine Rechtfertigung sein, das Vorsorgeprinzip und den Schutz der Biodiversität über Bord zu werfen. Wir brauchen endlich einen breiten gesellschaftlichen Dialog, der die gesamte Palette zu diskutierender Fragen, einschließlich juristischer, naturwissenschaftlicher, ethischer bis hin zu religiösen Fragen, aufgreift“, betonte sie. (ab)

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