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08.05.2019 |

Artensterben: Weltbiodiversitätsrat fordert nachhaltigere Landwirtschaft

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Monokulturen killen Biodiversität (Foto: CC0)

Die Artenvielfalt weltweit nimmt durch den Einfluss des Menschen rapide ab: Etwa eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht, viele drohen innerhalb der nächsten Jahrzehnte zu verschwinden, lautet die eindringliche Warnung des Weltbiodiversitätsrat IPBES. Der globale Zustandsbericht des Rates zur biologischen Vielfalt an Land, zu Wasser und in der Luft, dessen Zusammenfassung am 6. Mai von Vertretern aus 132 Mitgliedsstaaten verabschiedet wurde, stellt fest, dass die Landwirtschaft zu den Haupttreibern des Artensterbens zählt. „Die überwältigenden Belege des globalen IPBES-Zustandsberichts, die aus vielen unterschiedlichen Wissensbereichen stammen, zeigen ein bedrohliches Bild“, sagte der Vorsitzende von IPBES, Sir Robert Watson. „Die Gesundheit der Ökosysteme, von denen wir und alle anderen Arten abhängen, verschlechtert sich schneller denn je zuvor. Wir untergraben die Basis unserer Volkswirtschaften, Lebensgrundlagen, unserer Ernährungssicherheit, Gesundheit und Lebensqualität weltweit.“

145 Experten aus 50 Ländern haben unter Beteiligung von 310 Co-Autoren den Bericht über drei Jahre hinweg verfasst. Sie beurteilten die Veränderungen der letzten 50 Jahre, indem sie systematisch rund 15.000 wissenschaftliche und staatliche Quellen auswerteten. Der Bericht stellt fest, dass etwa eine Million der geschätzt 8 Millionen Tier- und Pflanzenarten auf der Erde vom Aussterben bedroht sind, viele davon innerhalb von Jahrzehnten. In den meisten Lebensräumen auf dem Land schwand die Zahl der dort natürlich vorkommenden Arten im Mittel um mindestens 20% Prozent, vor allem seit 1900. Mehr als 40% der Amphibienarten, fast ein Drittel der riffbildenden Korallen und mehr als 33% aller Meeressäuger sind vom Aussterben bedroht. „Die Natur ist für die menschliche Existenz und für eine gute Lebensqualität von wesentlicher Bedeutung. Die meisten Beiträge der Natur für den Menschen sind nicht vollständig ersetzbar, und einige sind unersetzlich “, heißt es im Bericht. So sind etwa weltweit 75% aller Nahrungspflanzen, darunter Obst und Gemüse sowie wichtige Cash Crops wie Kaffee, Kakao und Mandeln, auf die Bestäubung durch Tiere angewiesen. Doch die Vielfalt der Bestäuber nimmt ab. Der Anteil der weltweit vom Aussterben bedrohten Insektenarten ist nicht bekannt, Schätzungen zufolge sind es jedoch mindestens 10%. In einigen Ländern und Regionen gibt es klare Belege für ein rasantes Insektensterben.

„Die Ökosysteme der Erde werden durch den Menschen massiv beeinflusst“, sagt Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, einer der drei Co-Vorsitzenden des Berichts. „Die immer stärkere Nutzung von Böden und Meeren, der Klimawandel und die Umweltverschmutzung sind menschengemacht und einige der wesentlichen Treiber des Artensterbens.“ Als Haupttreiber nennt der Bericht „Veränderungen in der Land- und Meeresnutzung; direkte Ausbeutung von Organismen; Klimawandel; Verschmutzung und invasive Arten“. „Landnutzungsänderungen werden hauptsächlich durch die Land- und Forstwirtschaft sowie durch die Urbanisierung verursacht, die eng mit Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung verknüpft sind.“ Der Bericht stellt fest, dass sich die Produktion von Nutzpflanzen seit 1970 verdreifacht hat. Mehr als ein Drittel der Landfläche der Welt und fast 75% der Süßwasserressourcen werden jetzt für die Produktion von Pflanzen oder die Tierhaltung genutzt. Die Expansion der Landwirtschaft erfolgte vor allem in den Tropen (100 Millionen Hektar von 1980 bis 2000), verursacht zum Beispiel durch Viehzucht in Lateinamerika (ca. 42 Millionen Hektar) und Plantagen in Südostasien (etwa 7,5 Millionen Hektar, davon 80% Ölpalmen).

Der Bericht betont, dass die Landwirtschaft nicht nur eine Verursacherin, sondern auch Opfer des Artensterbens ist. Bestäuberverluste bergen ein Risiko von weltweiten Ernteausfällen im Wert von jährlich bis zu 577 Milliarden US-Dollar. Darüber hinaus verschwinden weltweit lokale Sorten und Rassen von Nutzpflanzen und -tieren. „Dieser Verlust an Vielfalt, einschließlich genetischer Vielfalt, stellt ein ernstes Risiko für die globale Ernährungssicherheit dar, da die Widerstandsfähigkeit vieler landwirtschaftlicher Systeme gegenüber Bedrohungen wie Schädlingen, Krankheitserregern und dem Klimawandel untergraben wird“, warnen die Autoren. Weltweit werden immer weniger Pflanzensorten und Tierrassen angebaut bzw. gehalten, gehandelt und vermehrt, trotz Bemühungen vieler, gerade auch von Indigenen und lokalen Gemeinschaften. Im Jahr 2016 galten 559 der 6.190 domestizierten Säugetierrassen, die für die Ernährung und Landwirtschaft genutzt werden, als ausgestorben. Mindestens 1.000 weitere sind laut IPBES bedroht.

Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass globale Biodiversitäts- und Nachhaltigkeitsziele nur durch „rasche und gemeinsame Anstrengungen zur Einleitung eines transformativen Wandels“ erreicht werden können. „Es ist nicht zu spät, etwas zu ändern, aber nur, wenn wir jetzt auf allen Ebenen beginnen, von lokal bis global“, sagte Watson. Der Bericht enthält eine Liste möglicher Maßnahmen, um den transformativen Wandel in verschiedenen Sektoren zu erzielen. Für die Landwirtschaft empfiehlt er „die Förderung nachhaltiger Agrarpraktiken, wie guter landwirtschaftlicher und agrarökologischer Praktiken“. Den Autoren zufolge sind „Optionen für eine nachhaltige Agrarproduktion verfügbar und werden weiterentwickelt“. Sie umfassen ein integriertes Schädlings- und Nährstoffmanagement, den ökologischen Landbau, agrarökologische Praktiken, Boden- und Wasserschutz, konservierende Bodenbearbeitung, Agroforstwirtschaft, silvopastorale Systeme, Bewässerungsmanagement, oder Praktiken zur Verbesserung des Tierschutzes. Diese Praktiken könnten durch gut strukturierte Vorschriften, Anreize und Subventionen, den Abbau verzerrender Subventionen sowie durch integrierte Landschaftsplanung und das Management von Wassereinzugsgebieten verstärkt werden.

„Wir müssen die staatlichen Subventionen auf eine nachhaltigere und regenerativere Landwirtschaft umlenken“, schreibt Watson im Guardian. Das käme nicht nur der Biodiversität zugute, sondern würde auch Kohlenstoff speichern und den Ausstoß anderer Treibhausgase verringern, und könnte auch die beängstigende Entwicklung stoppen, dass Ackerland so überlastet ist, dass Nutzpflanzen nicht mehr darauf gedeihen“, so Watson. Der Bericht schätzt, dass sich im Jahr 2015 Subventionen für eine potenziell umweltschädliche Landwirtschaft in den OECD-Ländern auf 100 Milliarden US-Dollar beliefen – und das, obwohl Reformen der Agrarsubventionspolitik, die auf die Verringerung von Pestiziden und nicht nachhaltigen Praktiken abzielen, in einigen Ländern bereits mit gewissem Erfolg umgesetzt wurden. Die Autoren betonen, dass Interessengruppen den Abbau schädlicher Subventionen und der Einführung neuer politischer Maßnahmen blockieren könnten. Mit Regulierungsmechanismen könnten dort Einflussnahme und Lobbying angegangen werden, wo Unternehmen und Sektoren ein Interesse haben, eine hohe Nachfrage, Monopole oder die weitere Nutzung von Pestiziden und chemischen Inputs aufrechtzuerhalten.“ (ab)

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