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29.01.2021 |

Weniger Betriebe, größere Fläche, höhere Tierbestände

Landwirtschaft
Die Zahl der kleinen Betriebe sinkt (Foto: CC0)

Immer weniger Landwirtschaftsbetriebe bewirtschaften immer größere Flächen in Deutschland. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Betriebe um 13% gesunken, während die durchschnittliche Hofgröße mit 63 Hektar einen Höchststand erreichte. Besonders viele tierhaltende Betriebe mussten in den letzten zehn Jahren aufgegeben, darunter fast die Hälfte aller Schweinehalter und 40% der Milchbetriebe. Das geht aus der Landwirtschaftszählung 2020 hervor, deren erste Ergebnisse am 21. Januar in Wiesbaden von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder präsentiert wurden. Demnach sank die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe von 299.100 Betrieben im Jahr 2010 auf nun 263.500, während die landwirtschaftlich genutzte Fläche mit 16,6 Millionen Hektar fast konstant blieb. „Diesem fortlaufenden Rückgang der Betriebszahlen steht ein Anstieg der durchschnittlichen Betriebsgröße entgegen. Bewirtschaftete ein landwirtschaftlicher Betrieb 2010 noch durchschnittlich 56 Hektar Fläche, erhöhte sich diese Fläche in 2020 auf etwa 63 Hektar“, heißt es in einem Statement zur Pressekonferenz. „Damit sind die Betriebe so groß wie nie“, sagte Christoph Unger, Vizepräsident des Statistischen Bundesamtes. „Entgegen dem Bundestrend geht die durchschnittliche Betriebsgröße in Ostdeutschland jedoch leicht zurück, unter anderem deshalb, weil neue beziehungsweise ausgegründete Betriebe eher geringere Betriebsgrößen aufweisen.“ Da die Erhebungszeiträume vor März 2020 lagen, habe die Corona-Pandemie keinen Einfluss auf die Ergebnisse.

Es gibt in Deutschland immer weniger kleine Höfe. Zwar bewirtschaftet mit 86% noch immer der Großteil der landwirtschaftlichen Betriebe (ca. 225.400 Betriebe) eine Fläche bis maximal 100 Hektar und 45% aller Betriebe haben nicht mehr als 20 Hektar zur Verfügung. Doch 2010 verfügten noch 88,8% der Betriebe über maximal 100 Hektar und damit 40.200 Betriebe mehr. Dagegen stieg die Zahl der Betriebe mit einer landwirtschaftlich genutzten Fläche von über 100 Hektar seit 2010 um etwa 4.500 auf rund 38.100 Betriebe an. Damit bewirtschaften 14% aller Betriebe 62% der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland. Immerhin bremste sich die Geschwindigkeit des Strukturwandels zuletzt leicht ab: Verschwanden zwischen 2010 und 2016 noch jährlich 4000 Betriebe von der Bildfläche, waren es im Zeitraum 2016-2020 „nur“ noch etwa 3.000 Betriebe im Jahr und die Flächenzunahme sank von 0,8 Hektar pro Betrieb auf 0,6 Hektar. Besonders in der Tierhaltung ist der Trend zu immer größeren Betrieben mit höheren Tierbeständen erkennbar, während die Zahl der Betriebe enorm sinkt. Seit 2010 sank der Schweinebestand hierzulande gerade einmal um 4%, während 47% der Schweinehalter aufgaben. Das bedeutet, dass immer mehr Schweine in immer größeren Betrieben gehalten werden: 2010 waren es noch 459 Schweine pro Betrieb, 2020 mit durchschnittlich 827 Schweinen fast doppelt so viel. Die Zahl der Milchviehbetriebe ging im letzten Jahrzehnt um 40% auf 54.100 Betriebe zurück, während der Tierbestand um lediglich 5% abnahm.

Und auch das Bild, das sich in den tierhaltenden Betrieben bietet, ändert sich immer mehr. Die Spezialisierung der verbleibenden Betriebe schreitet voran, vor allem in der Geflügel- und Schweinehaltung. In 10.000 Betrieben wird ausschließlich Geflügel gehalten, doch sie vereinen 70% des gesamten Bestandes auf sich. Das gilt auch für die Schweinehaltung, wo rund 14.200 Betriebe nur noch Schweine halten und zwar 72% des gesamten deutschen Schweinebestands. Was die Haltungsform anbelangt so stieg in der Schweinehaltung der Anteil der Ställe mit Vollspaltenboden von 67% im Jahr 2010 auf 79% im vergangenen Jahr. Bei den Rindern hingegen wurde die Laufstallhaltung von 75% auf 83% ausgebaut. Nur noch 10% aller Haltungsplätze befanden sich 2020 in Ställen mit Anbindehaltung. In der Legehennenhaltung nahmen Freiland- und Bodenhaltung zu, während nur noch 4% aller Plätze auf die Käfighaltung entfallen. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt im Verbot und der nahenden Auslauffrist dieser Haltungsform im Jahr 2025, so Destatis.

Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes befassen sich auch mit dem Ökolandbau. Demnach hält der Trend zur Umstellung weiter an. Im Jahr 2020 wirtschafteten knapp 26.400 Betriebe bzw. 10% aller Betriebe nach den Regeln des ökologischen Landbaus. Seit 2010 hat ihre Zahl um 60% bzw. 9.900 Betriebe zugenommen. Die ökologisch bewirtschaftete Fläche wuchs um 69% auf 1,6 Millionen Hektar in 2020. Dennoch ist der Anteil der Ökofläche an der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche mit 9,6% immer noch meilenweit von den Zielen der Bundesregierung entfernt, den Flächenanteil auf 20% bis 2030 zu erhöhen. Die Zahl der Betriebe mit ökologischer Tierhaltung ist in den letzten zehn Jahren um 43% gestiegen, doch nur 10% aller tierhaltenden Betriebe sind Bio-Betriebe. Beim Geflügel liegt der Anteil nur bei 5% und bei Schweinen gerade einmal bei 1%. In einer am 20. Januar veröffentlichen Bio-Bilanz zog der Bio-Dachverband Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) ein kritisches Fazit zum Abschneiden der Bundesregierung. „Die Bundesregierung hat mit dem Ziel ‚20% Bio bis 2030‘ klargemacht: Es braucht eine starke Ökologische Lebensmittelwirtschaft, um all die drängenden Probleme anzugehen“, sagte BÖLW-Vorsitzender, Felix Prinz zu Löwenstein. „Aber mit einer zukunftsfähigen Agrar- und Ernährungspolitik abzusichern, dass mehr Bauern und Lebensmittelbetriebe auf Öko umstellen können, das fehlt. Ebenso fehlt die Bereitschaft, alle Politikinstrumente, wie die Beschaffung durch die öffentliche Hand oder den Ausbau der Forschung, auf das Bio-Ziel auszurichten.“ (ab)

25.01.2021 |

Oxfam: Corona macht die Welt noch ungleicher

Slum
Die Ungleichheit verstärkt sich (Foto: CC0)

Die Covid-19-Pandemie hat die soziale Ungleichheit weltweit noch weiter verschärft: Während die 1.000 reichsten Menschen des Planeten ihre coronabedingten Verluste in gerade einmal neun Monaten wieder wettmachten, werden die Ärmsten auch in einem Jahrzehnt noch an den ökonomischen Folgen der Pandemie leiden. Das prognostiziert die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam in einem neuen Bericht, der im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums veröffentlicht wurde, bei dem sich dieses Jahr die Reichen und Mächtigen nur online ein Stelldichein geben. Gleich verteilt ist lediglich, dass als Folge der Corona-Pandemie die wirtschaftliche Ungleichheit erstmals in fast allen Ländern der Welt gleichzeitig anzusteigen droht. Wen es aber trifft und wie heftig, das ist wieder einmal höchst ungleich verteilt. Die Milliardäre dieser Welt profitieren sogar trotz der Pandemie, während die Ärmsten noch weiter abgehängt werden. „Die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich erweist sich als ebenso tödlich wie das Virus“, sagt Tobias Hauschild, Leiter des Teams „Soziale Gerechtigkeit” von Oxfam Deutschland. Während „einige Wenige die Pandemie im Luxus überstehen“, kämpfe über die Hälfte der Menschheit darum, „ihre Rechnungen zu bezahlen und Essen auf den Tisch zu bringen“.

Für den englischen Bericht, zu dem es die deutsche Kurzversion „Das Ungleichheitsvirus“ gibt, hat Oxfam 295 Ökonom*innen aus 79 Ländern befragen lassen, darunter führende Ungleichheitsforscher wie Jeffrey Sachs, Jayati Ghosh und Gabriel Zucman. Insgesamt gehen 87% der Befragten davon aus, dass die Einkommensungleichheit in ihrem Land infolge der Pandemie zunehmen oder stark zunehmen wird. Mehr als die Hälfte befürchtet, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich zunehmen wird. Besonders alarmierend ist, dass zwei Drittel der Ökonom*innen der Ansicht sind, dass ihre Regierung keine Strategie zur Bekämpfung der Ungleichheit habe. Laut dem Bericht hat die Corona-Krise im Globalen Süden zu einem extremen Anstieg des Hungers geführt. Schätzungen zufolge starben bis Ende 2020 jeden Tag mindestens 6.000 Menschen an Hunger, der durch die Folgen der Krise verursacht wurde. So droht die Pandemie, die in den vergangenen Jahrzehnten mühsam erzielten Erfolge bei der Armutsbekämpfung zunichte zu machen. Schon vor Pandemiebeginn musste fast die Hälfte der Menschheit mit weniger als $5,50 am Tag auskommen und gilt damit nach der erweiterten Definition der Weltbank als arm. Die Gesamtzahl dieser Menschen könnte allein im Jahr 2020 noch um 200-500 Millionen gestiegen sein und noch 2030 über dem Vorkrisenniveau liegen. Gut zwei Drittel der Menschen, die aufgrund der Krise verarmen, leben in Süd- und Ostasien sowie der Pazifikregion.

Besonders betroffen von der Krise sind die Menschen, die ohnehin häufig mit Diskriminierung und Ungleichheit zu kämpfen haben. „Menschen in Armut sind dem Corona-Virus am stärksten ausgesetzt. Sie leben häufiger in beengten Verhältnissen, teilweise ohne Wasser und sanitäre Einrichtungen. Viele, insbesondere im informellen Sektor Tätige, können nicht von zu Hause aus arbeiten“, heißt es in der Zusammenfassung. Studien aus Großbritannien zeigten außerdem, dass die Todesrate von an COVID-19 erkrankten Menschen in einkommensschwachen Gegenden doppelt so hoch ist wie in wohlhabenden. Ähnliche Ergebnisse liegen auch für Frankreich, Spanien und Indien vor. Frauen sind wieder einmal am stärksten betroffen, beklagt Oxfam. In den Sektoren, in denen durch die Pandemie besonders hohe Einkommens- und Arbeitsplatzverluste drohen, z.B. in der Gastronomie oder im Büromanagement, sind 49% der berufstätigen Frauen beschäftigt, aber nur 40% der Männer. Frauen stellen weltweit auch etwa 70% der Arbeitskräfte im Gesundheits- und Sozialwesen – wichtige, aber meist schlecht bezahlte Jobs, in denen das Ansteckungsrisiko größer ist. Auch die Hautfarbe hat Einfluss auf das Risiko, an Corona zu erkranken oder zu sterben. In Brasilien etwa ist die Gefahr, an COVID-19 zu sterben, für Menschen mit dunkler Hautfarbe um 40% höher als für weiße Menschen. Auch in den USA sterben weniger Weiße an dem Virus.

Während die Welt die schlimmste Jobkrise seit über 90 Jahren erlebt und Hunderte Millionen ihr Einkommen oder ihre Arbeit verloren haben, hat sich für die Reichsten die Corona-Krise oft schon wieder ausgezahlt: Das Vermögen der (im Dezember 2020) zehn reichsten Männer der Welt ist seit Februar 2019 um fast eine halbe Billion US-Dollar auf $1,12 Billionen gestiegen. Mit diesem Gewinn könnte man die gesamte Weltbevölkerung gegen Covid-19 impfen und sicherstellen, dass niemand durch die Pandemie verarmt, hat Oxfam berechnet. Die drei derzeit reichsten Milliardäre verzeichneten in diesem Zeitraum exorbitante Zuwächse: Elon Musk $131 Milliarden, Jeff Bezos $60 Milliarden und Bernard Arnault $76 Milliarden. Die zehn reichsten Deutschen konnte Ende 2020 ihr Gesamtvermögen gegenüber Februar 2019 um 35% bzw. $62,7 Milliarden steigern. „Konzerne und Superreiche müssen jetzt ihren fairen Beitrag leisten, um die Krise zu bewältigen“, fordert Hausschild. „Aber das reicht nicht aus. Unternehmen, Märkte und Politik sind weltweit so gestaltet, dass kurzfristige Gewinninteressen zu oft über das Gemeinwohl triumphieren. Auf der Strecke bleiben Arbeitsschutz, Löhne und Menschenrechte. Diese zerstörerische Logik müssen wir umdrehen, doch mächtige Wirtschaftsinteressen verhindern bislang den nötigen Wandel.“

Oxfam fordert daher stärkere Unterstützung von Menschen in Armut und die Ausrichtung der Wirtschaft am Gemeinwohl. „Unternehmen müssen so reguliert werden, dass die Interessen aller von Unternehmensentscheidungen Betroffenen berücksichtigt werden“, heißt es in der Pressemitteilung. Es brauche ein effektives, gemeinwohlorientiertes Kartellrecht und sektorspezifische Regulierungen, die eine gerechte Verteilung von Gewinnen innerhalb der Lieferkette und die Einhaltung fairer Handelspraktiken sicherstellen. Gemeinwohlorientierte Unternehmen müssten besonders gefördert werden, etwa durch Bevorzugung bei öffentlicher Beschaffung und Wirtschaftshilfen. Auch am Steuersystem müsse gedreht werden: Kurzfristig müssen Unternehmen und Superreiche angemessen an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt. Die Steuergelder werden dringend benötigt, um gerade in Ländern des Globalen Südens Menschen in Armut zu unterstützen und öffentlich finanzierte Systeme für Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung auszubauen. Hätte man die Extragewinne der 32 globalen Konzerne, die 2020 trotz Pandemie die größten Zuwächse hatten, einmalig besteuert, wären 104 Milliarden US-Dollar zusätzlich verfügbar gewesen. (ab)

18.01.2021 |

10.000 Fußabdrücke geben Anstoß für eine zukunftsfähige Agrarpolitik

Kanzleramt
10000 Fußabdrücke für die Agrarwende (Foto: Nick Jaussi/www.wir-haben-es-satt.de)

Rund 10.000 Menschen demonstrierten am Samstag für eine Agrarwende in Berlin: Mithilfe von auf Papier verewigten Fußabdrücken forderten sie eine Landwirtschaft, in der Tiere artgerecht gehalten, Umwelt und Klima geschützt werden und Bäuer*innen faire Preise für ihre Produkte erhalten. Seit 2011 rufen die aktuell 60 Organisationen im „Wir haben es satt!“-Bündnis zu einer Großdemonstration im Vorfeld der Agrarmesse „Grüne Woche“ auf. Im letzten Jahr gingen etwa 27.000 Menschen in Berlin für eine Agrar- und Ernährungswende auf die Straße, darunter viele konventionell und ökologisch wirtschaftende Bäuer*innen aus dem ganzen Land. Eisige Finger und kalte Zehen blieben den Demonstrant*innen 2021 erspart: Da eine Demo in diesem Jahr coronabedingt nicht möglich war, brachten die Menschen ihre Botschaften per Post von der Couch direkt vors Kanzleramt. Reihe um Reihe spannten sich die Leinen vor dem Amtssitz von Kanzlerin Merkel – bestückt mit mehr als zehntausend kreativen Fuß- und Stiefelabdrücken oder Treckerspuren, die im Wind flattern. Darauf finden sich Botschaften wie „Bleibt uns mit Gift vom Acker“, „Mit großen Schritten in die ökologische Zukunft“, „Artenvielfalt statt Monokultur“, „Agrarwende: Verlust der Bodenfruchtbarkeit stoppen“ oder „Kein Werbung für Billigangebote in Supermärkten“.

„Agrarindustrie abwählen – Agrarwende lostreten!“ lautet die Botschaft des Protests zum Auftakt des Superwahljahres 2021. „Billiges Essen ist eine Sackgasse, die weder die Landwirtschaft noch die Verbraucher*innen weiterbringt“, kritisiert Saskia Richartz, Sprecherin von „Wir haben es satt“. Sie wirft Agrarministerin Julia Klöckner Versagen vor, da sie eine Politik auf Kosten von Höfen, Tieren und der Umwelt betreibe. Die CDU gehöre nach 15 Jahren miserabler Agrarpolitik abgewählt. „Wir fordern: Höfesterben stoppen, Umbau der Tierhaltung fördern, Pestizidausstieg vorantreiben und ein klares Nein zur Gentechnik und zum EU-Mercosur-Abkommen.“ Zentraler Knackpunkt ist die Verteilung der EU-Agrarsubventionen. Die Agrarpolitik müsse sicherstellen, dass artgerechte Tierhaltung und Klimaschutz deutlich gefördert werden und mithilfe der Gelder der Umbau der Landwirtschaft in Europa sozial und umweltgerecht gestaltet werde. „Im Moment wird Geld auf Fläche verteilt, also wer viel Land besitzt, bekommt viel Geld“, erklärt Richartz dem ZDF. „Wir fordern eine Umverteilung hin zu einer zielorientierten Förderung von Umweltschutzmaßnahmen, Klimaschutz und Tierwohl.“ Doch hier gibt es enormen Nachholbedarf: „Auch im vergangenen Jahr gab es keine Richtungsänderung in der Landwirtschaft, weil die GAP-Reform auf europäischer Ebene gescheitert ist“, kritisiert Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbund Deutschland (NABU). „Deutschland muss nun bei der nationalen Ausgestaltung der EU-Agrarpolitik mehr Raum für Natur und Artenvielfalt schaffen und dafür sorgen, dass Landwirt*innen angemessen für ökologische Leistungen bezahlt werden.“

Am Samstagvormittag hatte eine Delegation von Bäuerinnen und Bauern aus Berlin und dem Umland vor der CDU-Zentrale ihrem Ärger über die Agrarpolitik der Union der vergangenen Jahre Luft gemacht - stellvertretend für die Treckerfahrer*innen, die sonst aus dem gesamten Bundesgebiet anrollen. „Dumpingpreise, Klimakrise und Artensterben zwingen uns alle zu Veränderungen. Wir Bäuerinnen und Bauern sind bereit, unseren Beitrag zu leisten“, sagte Sandra Finke-Neuendorf, Bäuerin aus Blankenfelde bei Berlin, die im Traktor-Konvoi mitfuhr. „Von Ministerin Klöckner erwarten wir endlich die notwendigen Rahmenbedingungen.“ Gerechte Erzeugerpreise und ein ernsthafter Systemwechsel in der Agrarpolitik seien unabdingbar. Auch Biobauer Jan Wittenberg aus Hildesheim fordert faire Preise ein, denn nur so könnten regionale Höfe fortbestehen und nicht nur Großbetriebe: „Und dazu müssen wir einfach eine bessere Preissituation kriegen und diesen ruinösen globalen Handel zumindest etwas bremsen“, sagte er dem ZDF.

Auch die globalen Auswirkungen der EU-Agrarpolitik und der industriellen Landwirtschaft hatten viele Fußabdrücke und Plakate im Blick. „Landraub stoppen“, „Gerechter Handel statt EU – Mercosur“ oder „Bauernrechte weltweit“ war da zu lesen. „Wir brauchen endlich gerechte, gesunde und nachhaltige Ernährungssysteme – und zwar weltweit“, sagte Lena Bassermann von INKOTA. „Deshalb fordern wir: Giftexporte stoppen. „Wenn ein Pestizidwirkstoff in Europa verboten ist, weil er Menschen oder Umwelt schadet, warum sollte er dann exportiert werden dürfen? Wir brauchen ein Ende von Doppelstandards in der Pestizidvermarktung und ein konsequentes Verbot für den Export.“ Auch auf den überhöhten Verbrauch von Ressourcen in den Industrieländern machte ein Fußabdruck aufmerksam: „Wir verbrauchen mehr Ressourcen, als uns zustehen. – Agrarwende jetzt!“, hieß es auf einem blauen Fußabdruck, der mit einer Wäscheklammer an die Leine vorm Kanzleramt geklemmt war. (ab)

14.01.2021 |

Dekret: Mexiko sagt Adiós zu Glyphosat und Gentechnik-Mais

Bunt
Mexiko ist die Wiege des Mais (Foto: CC0)

Mexiko hat der Verwendung von Glyphosat und gentechnisch verändertem Mais einen Riegel vorgeschoben. Ein am 31. Dezember im Amtsblatt veröffentlichtes Dekret sieht vor, dass der Einsatz des Herbizids und die Nutzung von GVO-Mais bis spätestens Ende Januar 2024 durch „nachhaltige Alternativen“ ersetzt werden müssen. „Mit dem Ziel, zur Ernährungssicherheit und -souveränität beizutragen und als besondere Maßnahme zum Schutz des heimischen Maises, der Milpa, des biokulturellen Reichtums, der bäuerlichen Gemeinschaften, des gastronomischen Erbes und der Gesundheit des mexikanischen Volkes, werden die Behörden für Biosicherheit (...) die Genehmigungen für die Freisetzung von gentechnisch verändertem Maissaatgut in die Umwelt widerrufen und nicht erteilen“, verkündet Artikel 6 des Dekrets. Die Entscheidung wurde von Umweltschutzorganisationen und Aktivisten freudig begrüßt, während Vertreter*innen der mexikanischen Agroindustrie die Regierung scharf kritisierten.

In Bezug auf den umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat legt Artikel 1 dar, dass die Behörden gemäß dem Dekret Maßnahmen ergreifen werden, um „die Verwendung, den Erwerb, den Vertrieb, die Förderung und den Import der chemischen Substanz namens Glyphosat und der im Land verwendeten Agrochemikalien, die sie als Wirkstoff enthalten, schrittweise durch nachhaltige und kulturell angemessene Alternativen zu ersetzen, die die Aufrechterhaltung der Produktion ermöglichen und für die menschliche Gesundheit, die biokulturelle Vielfalt des Landes und die Umwelt sicher sind.“ Bis 31. Januar 2024 läuft die Übergangsfrist für Landwirte und Unternehmen, doch laut Artikel 2 dürfen im Rahmen von öffentlichen Programmen oder anderen Regierungsmaßnahmen bereits ab Inkrafttreten des Dekrets am 1. Januar 2021 keine Herbizide mit dem Wirkstoff Glyphosat mehr beschafft, verwendet, verteilt oder importiert werden. Das Ministerium für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung sowie das Ministerium für Umwelt und natürliche Ressourcen werden „nachhaltige und kulturell angemessene Alternativen zur Verwendung von Glyphosat fördern und umsetzen, seien es andere Agrochemikalien mit geringer Toxizität, biologische oder ökologische Produkte, agrarökologische Praktiken oder der intensive Einsatz von Arbeitskräften“, heißt es in Artikel 3. Der Nationale Rat für Wissenschaft und Technologie (CONACYT) wird die Behörden jährlich dazu beraten, wie viel Glyphosat noch importiert werden darf.

Für die Verwendung von gentechnisch verändertem Mais gilt auch die Übergangsfrist bis 2024. Mexiko werde bestehende Genehmigungen widerrufen, neue Genehmigungen für die Freisetzung von gentechnisch verändertem Mais stoppen sowie schrittweise die Importe von GVO-Mais „in Übereinstimmung mit den geltenden Vorschriften und basierend auf Kriterien der ausreichenden Versorgung mit nicht mit Glyphosat behandeltem Mais“ reduzieren. Präsident Andrés Manuel López Obrador kündigte Maßnahmen an, um die Selbstversorgung des Landes mit Nahrungsmitteln zu stärken. Mexiko, die Wiege des Mais und Heimat Dutzender lokaler Sorten, baut selbst genügend Mais für den menschlichen Verzehr an. Mais ist in dem zentralamerikanischen Land ein nicht wegzudenkendes Grundnahrungsmittel und eine wichtige Zutat für Tortillas und andere traditionelle Gerichte und Lebensmittel. Für die Nutztierhaltung importiert Mexiko jedoch Gentechnik-Mais als Futtermittel. Hauptlieferant sind die USA. Nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) exportierten die USA im Jahr 2019 Mais im Wert von 2,7 Milliarden US-Dollar nach Mexiko. In Mexiko selbst wird kein gentechnisch veränderter Mais angebaut und der Anbau von Gentechnik-Soja wurde 2017 nach einer gerichtlichen Verfügung ausgesetzt. Allerdings wurde 2019 laut der Biotech-Lobbyorganisation ISAAA eine Fläche von 223.000 Hektar mit GV-Baumwolle bepflanzt.

Umweltorganisationen und Gentechnik-Gegner begrüßten das Verbot. Greenpeace Mexiko verbuchte das Dekret nach den unzähligen Kämpfen der letzten 21 Jahren gegen den Einsatz von Gentechnik im Land als Erfolg. „Es ist an der Zeit, die historische Schuld an der genetischen Vielfalt in Mexiko zu begleichen, und wir feiern das Verbot von gentechnisch verändertem Mais und das schrittweise Verbot von Glyphosat bis 2024, da dies wichtige Schritte auf dem Weg zu einer ökologischen Produktion sind, die die Artenvielfalt und Agro-Biodiversität bewahrt, die von den Bauern über Jahrtausende hinweg kultiviert wurde, und uns die Möglichkeit gibt, eine gesunde Umwelt und ein grünes und faires Ernährungssystem zu genießen.“ Homero Blas Bustamante, Präsident der mexikanischen Gesellschaft für ökologische Landwirtschaft (SOMXPRO), freute sich ebenfalls: „Es ist ein großer Sieg“, sagte er gegenüber Reuters. Biobauern sowohl in Mexiko als auch weltweit zeigten schon lange, dass Glyphosat in der Landwirtschaft unnötig sei und dass es wie andere Agrochemikalien auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips verboten werden sollte. Die mexikanische Agroindustrie ist hingegen weniger erfreut. Die mexikanische Organisation Proccyt, die die Pestizidindustrie vertritt, bezeichnete das Dekret als Rückschritt und warnte, es könne die Preisstabilität und Verfügbarkeit von Mais gefährden und sich negativ auf mexikanische Bäuer*innen auswirken, die mit Landwirten in den USA und andernorts konkurrieren, die Glyphosat verwenden dürfen. (ab)

06.01.2021 |

Fleischatlas fordert grundlegenden Wandel in der Fleischindustrie

Fleisch
Fleisch: wie wurde es produziert? (Foto: CC0)

Ein grundlegender Wandel in der Nutztierhaltung und globalen Fleischproduktion ist bisher ausgeblieben – trotz Klimakrise und Skandalen in der Fleischindustrie. „Im Gegenteil: Massentierhaltung, Höfesterben, Futterimporte und Pestizideinsatz schreiten ungebremst voran“, warnen die Heinrich-Böll-Stiftung, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Le Monde Diplomatique in ihrem heute veröffentlichten „Fleischatlas 2021“. Die Broschüre bietet auf 50 Seiten und mit über 80 Grafiken eine aktuelle Faktensammlung zu Fleischproduktion und -konsum in Deutschland und weltweit. Die Herausgeber fordern von der Politik einen grundlegenden Umbau der Fleischproduktion und gezielte Strategien, um den Verbrauch mindestens zu halbieren. Der globale Fleischkonsum hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt, schreiben die Autoren. Die Produktion ist zwar 2019 das erste Mal seit 1961 weltweit nicht gewachsen, sondern um 2% auf 325 Millionen Tonnen gesunken, doch das lag eher an der Afrikanischen Schweinepest als an einem Kurswechsel. Wenn dieser nicht eingeläutet wird, könnte die Produktion bis 2028 auf rund 360 Millionen Tonnen Fleisch im Jahr steigen. Schon jetzt entfallen auf die Tierhaltung 14,5% der globalen Treibhausgas-Emissionen und sie trägt zum Artenschwund bei. „Die industrielle Fleischproduktion ist nicht nur für prekäre Arbeitsbedingungen verantwortlich, sondern vertreibt Menschen von ihrem Land, befeuert Waldrodungen, Pestizideinsätze und Biodiversitätsverluste – und ist einer der wesentlichen Treiber der Klimakrise“, betont Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.

Im Vorwort des Atlas mahnen die Herausgeber: „Im Jahr 2015 haben sich die Staats- und Regierungschefs der Welt auf die globalen Entwicklungsziele (SDGs) geeinigt. Der Schutz des Klimas, der Biodiversität, der Meere und allem voran das Ende von Hunger und absoluter Armut stehen auf der Liste der 17 Ziele. Die Landwirtschaft ist eng mit dem Erfolg der Ziele verknüpft, doch steht gerade die industrielle Fleischproduktion dem im Weg.“ Und die Zeit läuft: „Die globalen Nachhaltigkeitsziele müssen wir in neun Jahren erreichen. Und das bedeutet, dass die Industrieländer ihren hohen Fleischverbrauch auf Kosten des Klimas, der Biodiversität, globaler Gerechtigkeit und des Tierwohls um mindestens fünfzig Prozent reduzieren müssen.“ Die Autor*innen räumen ein, dass Ernährung zwar individuell sei, doch wie auf die Produktionsbedingungen könne der Staat mit Gesetzen und Regeln auch Einfluss auf den Konsum zugunsten von Nachhaltigkeit und Gesundheit nehmen. „Instrumente dafür gibt es zahlreiche: fiskalische, informatorische und rechtliche. Vor allem aber bedarf es eines entschiedenen politischen Willens zur Veränderung.“ Mit Blick auf Deutschland beklagen die Herausgeber jedoch, dass die Bundesregierung offenbar kein Interesse an einer „Fleischwende“ zeige.

Deutschland produzierte 2019 immer noch 8,6 Millionen Tonnen Fleisch. Bei der Erzeugung von Schweinefleisch und Milch in der EU nimmt die Bundesrepublik eine Spitzenposition ein und erreicht Marktanteile von 21% bzw. 20%. Zudem ist Deutschland ein Exportland: Es produziert 16% mehr, als im Inland konsumiert wird. Bei Schweinefleisch liegt der Selbstversorgungsgrad sogar bei 19%. „Riesige Mengen werden exportiert. Diese Abhängigkeit vom Weltmarkt schadet der Umwelt, den Tieren und den bäuerlichen Betrieben“, kritisiert Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND. Zudem würden die Höfe immer größer, während die Gesamtzahl sinke. Seit 2010 ist die Tierzahl pro Betrieb bei Mastschweinen von 398 auf 653 gestiegen. Bedenklich sei, dass die Zahlen bei Schweinen besonders in Nordrhein-Westfalen und Niedersachen gestiegen sind – gerade in jenen Regionen, die ohnehin aufgrund der überdurchschnittlich hohen Tierbestandsdichte Probleme auftreten. Damit wird die Verschmutzung des Grundwassers in diesen Regionen weiter verschärft. „Auf immer weniger Höfen leben immer mehr Tiere. Wir dürfen hier keine weiteren bäuerlichen Betriebe verlieren, wenn wir den Umbau schaffen wollen“, mahnt Bandt.

Die Herausgeber verweisen darauf, dass die Bevölkerung Veränderungen in der Tierhaltung befürworte. Gerade bei der jüngeren Generation sei zunehmend Bewusstsein und der Wunsch nach einem Wandel vorhanden. Eine repräsentative Umfrage für den Atlas zeigt, dass mehr als 70% der 15 bis 29-Jährigen die Fleischproduktion in Deutschland in ihrer jetzigen Form ablehnten. 40% der Befragten gaben an, wenig Fleisch zu essen und 13% ernähren sich nur vegetarisch oder vegan – doppelt so viele wie quer durch alle Altersgruppen der Bevölkerung. Nicht nur aus Tierschutzgründen greifen viele junge Menschen lieber zum Veggie-Burger – auch die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie fanden 70% der Befragten abstoßend. Die Herausgeber unterstreichen, dass dank Corona-Krise und der Arbeit der Gewerkschaften die prekären Arbeits- und Wohnbedingungen der Beschäftigten ins Rampenlicht gerückt seien und in Deutschland nun immerhin Leiharbeit und Werkverträge in den Kernzprozessen verboten seien. Unmüßig nennt dies zwar ein gutes Zeichen, doch ein Ende der Ausbeutung markiere es nicht. „Die wirtschaftlichen Interessen der milliardenschweren Fleischindustrie und die Reformverweigerung der Politik halten uns auf einem dramatischen Irrweg, der die ökologischen Grenzen des Planeten sprengt“, so Unmüßig. Bandt appelliert an die Politik, dem gesellschaftlichen Wunsch nach dem Umbau der Tierhaltung endlich Rechnung zu tragen. „Dies erfordert eine weitreichende politische Neuausrichtung der Agrarpolitik, aber die Agrarwende wird ohne eine Ernährungswende nicht zu schaffen sein. Niedrige Preise machen es den Bäuerinnen und Bauern schwer, auf die gestiegenen Anforderungen nach mehr Umweltschutz und mehr Tierwohl zu reagieren“, betont er. Eine tierschutzgerechte Tierhaltung müsse endlich verlässliche finanzielle Grundlagen bekommen. (ab)

23.12.2020 |

Transformation des Ernährungssystems kann Artensterben aufhalten

Ikhlasul Amal
Abholzung für Landwirtschaft? (Photo: Flickr, bit.ly/IkhlasulAmal, bit.ly/1_CC_BY-NC_2-0)

Unsere Ernährungsweise und Lebensmittelproduktion muss sich grundlegend ändern, um der Zerstörung von Lebensräumen und dem Artensterben Einhalt zu gebieten. Diese Erkenntnis ist nicht neu, doch eine am 21. Dezember in Fachjournal „Nature Sustainability“ erschienene Studie untermauert dies erneut. Wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen, könnten 2-10 Millionen Quadratkilometer Land bis 2050 in Agrarflächen umgewandelt werden – meist zulasten natürlicher Lebensräume. Ein internationales Forscherteam prognostiziert nun, dass fast 90% aller Arten dadurch ihren Lebensraum teilweise verlieren könnten. „Wir haben abgeschätzt, wie sich die landwirtschaftliche Expansion zur Ernährung einer immer wohlhabenderen Weltbevölkerung auf etwa 20.000 Arten von Säugetieren, Vögeln und Amphibien auswirken wird“, erklärt Hauptautor Dr. David Williams von der Universität Leeds. „Fast 1.300 Arten werden wohl mindestens ein Viertel ihres verbleibenden Lebensraums verlieren und hunderte könnten mindestens die Hälfte verlieren. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie aussterben werden.“ Doch es bestehe auch Hoffnung: Das Artensterben könnte gebremst werden, wenn wir uns gesünder ernähren, weniger Lebensmittel verschwenden, eine nachhaltige Ertragssteigerung gelingt und Landnutzung auf globaler Ebene geplant wird. „Wir müssen sowohl unsere Ernährungsgewohnheiten als auch die Art und Weise unserer Lebensmittelproduktion ändern“, so Dr. Williams.

Die Forscher entwickelten ein Modell, um zu prognostizieren, wo es wahrscheinlich zu einer Ausweitung von Agrarflächen kommen wird. Es basiert zum einen auf Beobachtungen, wie sich die Bodenbedeckung zwischen 2001 und 2013 veränderte und zum anderen auf Daten zu Faktoren, die voraussichtlich Einfluss darauf haben werden, dass sich die Landnutzung verändert, z.B. die Eignung eines Gebiets für die Landwirtschaft, die Nähe zu anderen Agrarflächen oder Marktzugang. Dieses Modell verknüpften die Wissenschaftler mit Schätzungen zum Bedarf an Agrarflächen zwischen 2010 und 2050, basierend auf der Bevölkerungszahl, dem Pro-Kopf-BIP und dem Ernteertrag in einzelnen Ländern. So konnten sie vorhersagen, wo und wie stark sich die landwirtschaftliche Fläche künftig wohl ausweiten wird. Dies setzen die Wissenschaftler dann in Beziehung zu Lebensraumkarten für fast 20.000 Amphibien-, Vogel- und Säugetierarten. Sie verwendeten eine kleinteilige räumliche Auflösung von 1,5×1,5 km, was die Bestimmung ermöglichte, welche Arten und Landschaften genau bedroht sind. So konnten sie berechnen, welchen Anteil des Lebensraums jede Art 2010-2050 verlieren wird. Untersucht wurde auch, ob die betroffenen Arten auf Agrarflächen überleben können.

Laut den Forschern könnte die globale Anbaufläche unter einem Business-as-usual-Szenario von 2010 bis 2050 um 26% bzw. 3,35 Millionen km² wachsen. Große Zuwächse seien in Subsahara-Afrika, Süd- und Südostasien (v.a. Bangladesch, Pakistan und im Süden Malaysias) sowie im Norden Argentiniens und in weiten Teilen Zentralamerikas zu erwarten. Diese Zunahme werden angetrieben durch „einkommensabhängige Übergänge hin zu einer Ernährung, die mehr Kalorien und größere Mengen an tierischen Lebensmitteln enthält, kombiniert mit einem hohen prognostizierten Bevölkerungswachstum und niedrigen Ernteerträgen, die vor allem in Afrika südlich der Sahara nur langsam ansteigen werden“, schreiben die Autoren. Sie gehen davon aus, dass 87,7% der Arten (17.409 Arten) bis 2050 einen Teil ihres Lebensraums verlieren werden, wenn die derzeitigen Trends anhalten. Bei 6,3% der Arten würde sich der verfügbare Lebensraum nicht verändern und bei 6,0 % gar wachsen, da sie gut auf Agrarflächen klarkommen. Doch diese Mittelwerte verschleiern, wie gravierend sich Lebensraumverluste auf viele Arten auswirken. Bis 2050 könnten 1.280 Arten mindestens 25% ihres Lebensraums verlieren, wodurch die Gefahr steigt, dass sie in den nächsten Jahrzehnten aussterben könnten. 347 Tierarten würden mindestens 50% ihres verbleibenden Lebensraums verlieren und bei 96 Arten wären es gar 75%. Viele der Arten, die wahrscheinlich am stärksten betroffenen sein werden, stehen aktuell nicht auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Arten und Naturschützer haben sie daher vermutlich noch nicht auf dem Schirm.

„Eine proaktive Politik, die darauf abzielt, wie, wo und welche Lebensmittel produziert werden, könnte diese Bedrohungen reduzieren, wobei eine Kombination von Ansätzen potenziell fast all diese Verluste verhindern und gleichzeitig zu einer gesünderen Ernährung der Menschen beitragen könnte“, heißt es in der Studie. Um das Potenzial solcher proaktiven Ansätze zu untersuchen, entwickelten die Forscher ein Szenario, das vier Veränderungen in Nahrungsmittelsystemen einbezieht: das Schließen von Ertragslücken, einen weltweiten Übergang zu einer gesünderen Ernährung, die Halbierung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung sowie eine globale landwirtschaftliche Flächennutzungsplanung, um Konkurrenz zwischen der Lebensmittelproduktion und dem Schutz von Lebensräumen zu vermeiden. Sie analysierten sowohl die Wirkung jedes einzelnen Ansatzes als auch in Kombination. Die gleichzeitige Umsetzung aller vier Szenarien würde den globalen Landbedarf bis 2050 um fast 3,4 Millionen km² im Vergleich zu 2010 und um 6,7 Millionen km² im Vergleich zu einem „Weiter wie bisher“ senken. In allen Regionen würden die Tierarten bis 2050 im Schnitt maximal 1% der Lebensräume verlieren und lediglich 33 Arten würde mehr als 25% ihres Lebensraums abhandenkommen – anstatt 1.280 Arten, wenn wir nichts ändern.

Die Auswirkungen der einzelnen Ansätze unterscheiden sich je nach Region. So würde etwa eine Ertragssteigerung in Nordafrika, Westasien und Subsahara-Afrika, wo noch große Ertragslücken bestehen, große Vorteile bringen, aber die Wissenschaftler warnen auch, dass Ertragssteigerungen oft negative Folgen für die Arten haben, die im Agrarland leben. In Nordamerika, wo die Erträge bereits nahe am Maximum sind, bringe ein Ertragsplus hingegen kaum mehr Schutz für die Artenvielfalt. Die Umstellung auf eine gesündere Ernährung und die Verringerung der Lebensmittelverschwendung würden vor allem in reicheren Regionen mit einem hohen Pro-Kopf-Verbrauch an Kalorien und tierischen Lebensmitteln erhebliche Vorteile bringen. In Regionen mit geringem Fleischkonsum und hoher Ernährungsunsicherheit hingegen wird eine gesündere Ernährung dagegen einen geringeren Nutzen für die Biodiversität mit sich bringen. Eine globale Landnutzungsplanung allein würde die geringste Wirkung entfalten, da immer noch 1.026 Arten einen Verlust von mindestens 25% ihres im Jahr 2010 noch verfügbaren Lebensraums hinnehmen müssten. Subsahara-Afrika würde am meisten von dieser Maßnahme profitieren. Das Wissen um die Auswirkungen jedes einzelnen Ansatzes könne politischen Entscheidungsträgern und Naturschützern dabei helfen abzuwägen, welche Veränderungen in ihrem Land oder ihrer Region voraussichtlich den größten Nutzen bringen werden. „Es ist jedoch wichtig, dass wir alle diese Maßnahmen ergreifen“, betont Hauptautor Dr. Michael Clark von der Universität Oxford. „Kein einzelner Ansatz ist für sich allein ausreichend.“ Traditionelle Schutzmaßnahmen, wie die Einrichtung neuer Schutzgebiete oder Gesetze für vom Aussterben bedrohte Arten, genügten nicht. Die Ursachen der landwirtschaftlichen Expansion müssten angegangen werden. „Die gute Nachricht ist: Wenn wir ehrgeizige Änderungen am Lebensmittelsystem vornehmen, können wir fast alle Lebensraumverluste verhindern“, so Clark weiter. Das Fazit der Autoren: „Diese proaktiven Bemühungen, die Art und Weise, wie wir Nahrung produzieren und konsumieren, zu ändern, wird eine große Herausforderung sein, aber eine, die nicht vermieden werden kann, wenn wir alle Arten für künftige Generationen erhalten wollen.“ (ab)

17.12.2020 |

Studie: 385 Millionen Vergiftungen durch Pestizide pro Jahr

Pesticides
Pestizide im Reisfeld (Foto: Pixabay)

Jedes Jahr kommt es weltweit zu schätzungsweise 385 Millionen unbeabsichtigten Pestizidvergiftungen – in etwa 11.000 Fällen mit tödlichem Ausgang. Das geht aus einer Studie hervor, die am 7. Dezember im Fachmagazin „BMC Public Health“ veröffentlicht wurde. Die Zahl der Menschen, die sich versehentlich eine Vergiftung durch Pestizide zuzogen, ist in den letzten Jahrzehnten zudem deutlich gestiegen. Zu diesem Ergebnis gelangten die Forscherinnen und Forscher nach einer umfassenden Auswertung von aktuellen Studien und Datenbankrecherchen. In Auftrag gegeben wurde die Studie vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN), einem Zusammenschluss von über 600 Nicht-Regierungsorganisationen und Einzelpersonen in über 90 Ländern. „Die aktuellen Zahlen verdeutlichen, wie sehr das Leid von Millionen von Menschen über Jahrzehnte massiv unterschätzt wurde, kommentierte Susan Haffmans, Referentin bei PAN Germany.

Auf der Suche nach globalen Zahlen zum Thema Pestizidvergiftungen stieß man bis dato stets auf die vielerorts zitierte Angabe, dass es jedes Jahr zu einer Million schwerwiegender unbeabsichtigter Pestizidvergiftungen kommt, von denen 20.000 Fälle tödlich enden. Diese Zahlen stammen aus einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 1990, die sich auf nur wenige Länder und Daten aus den 1980er Jahren stützte. Die Zahl der nicht gemeldeten Vergiftungen mit milderen Auswirkungen wurde basierend auf diesen WHO-Angaben auf 25 Millionen Fälle geschätzt. Die neue Studie liefert nun aktuelle Zahlen zum weltweiten Ausmaß des Problems. Die Autor*innen führten dafür zunächst eine systematische Analyse von über 800 wissenschaftlichen Publikationen durch, die zwischen 2006 und 2018 zum Thema veröffentlicht wurden. Letztlich berücksichtigt wurden Daten aus 157 geeigneten Studien, die insgesamt auf 741.429 nicht beabsichtigte Pestizidvergiftungen schließen lassen, von denen 7.508 einen tödlichen Ausgang hatten. Die meisten der Studien befassten sich mit arbeitsbedingten Vergiftungen bei Landwirt*innen und Landarbeiter*innen. Des Weiteren werteten die Autor*innen Informationen aus der Todesursachen-Datenbank der WHO aus. So konnten sie insgesamt 141 Länder weltweit abdecken und Länderübersichten erstellen. Dann schätzten die Wissenschaftler*innen die Zahl der in den jeweiligen Ländern jährlich vorkommenden unbeabsichtigten Pestizidvergiftungen. Die weltweite Gesamtzahl wurde dann basierend auf nationalen Kennzahlen und Bevölkerungsdaten berechnet. Das Ergebnis: Geschätzt 385,5 Millionen Pestizidvergiftungen jährlich, davon 10.881 mit tödlichem Ausgang.

Umgerechnet bedeute dies, dass etwa 44% der in der Landwirtschaft tätigen Weltbevölkerung jedes Jahr mindestens eine Vergiftung erleiden, betonen die Verfasser*innen. „Die tagtäglichen Vergiftungen führen dauerhaft auch zu chronischen Erkrankungen, wie Krebs, zu neurologischen Schädigungen und zu Fruchtbarkeitsstörungen“, beklagt Susan Haffmans. „Wir müssen endlich ein schrittweises Verbot der schlimmsten Pestizide, der sogenannten hochgefährlichen Pestizide (HHPs) durchsetzen, um die Gesundheit und das Leben derjenigen zu schützen, die tagtäglich unsere Nahrung produzieren.“ Der Studie zufolge traten die meisten nicht-tödlichen Vergiftungsfälle in Südasien auf, gefolgt von Südostasien und Ostafrika. Die höchste nationale Einzelinzidenz wurde in Burkina Faso festgestellt, wo jährlich fast 84% der Bäuer*innen und Landarbeiter*innen unbeabsichtigte akute Pestizidvergiftungen erleiden. Ebenfalls sehr hoch ist der Anteil mit rund 82% in Pakistan und Kuwait. In Indien lag der Wert bei 62%, doch das Land vereint 60% der Vergiftungen mit tödlichem Ausgang auf sich. Am geringsten ist die Inzidenz in den USA, wo sich gerade einmal 0,05% der Landwirte und Landarbeiter unabsichtlich vergiften.

Dass die Zahl der weltweiten nicht-tödlichen, unbeabsichtigten Pestizidvergiftungen deutlich höher geschätzt wird als einst von der WHO, ist den Studienautor*innen auch darauf zurückzuführen, dass sich der weltweite Pestizideinsatz in Tonnen von 1990 bis 2017 um etwa 80% erhöht hat. In Südamerika betrug der Anstieg gar 484% und in Asien 97%, während die Menge in Europa um 3% zurückgegangen sei, berechneten die Autor*innen basierend auf der FAO-Datenbank FAOSTAT. „Es ist also wahrscheinlich, dass jetzt weltweit viel mehr Landwirte und Arbeiter Pestiziden ausgesetzt sind bzw. durch häufigere Anwendung stärker ausgesetzt sind“, heißt es in der Studie. Zudem decke die aktuelle Studie eine größere Anzahl von Ländern ab. Dennoch sei davon auszugehen, dass die neuen Schätzungen das reale Ausmaß weiter unterschätzen, unter anderem dadurch, da viele Staaten über keine zentrale Meldestelle verfügten bzw. es keine Meldepflicht für Pestizidvergiftungsfälle gebe. „Wir wissen, dass es Einschränkungen bei den Daten über Pestizidvergiftungen gibt“, erläutert Javier Souza, Koordinator von PAN Lateinamerika. „Aber diese Studie offenbart unbeabsichtigte Pestizid-Vergiftungen deutlich als ein ernstes, globales Problem, das sofortiges Handeln erfordert. Hochgefährliche Pestizide müssen bis 2030 schrittweise vom Markt genommen werden, um die globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, und wir müssen zu gesünderen und widerstandsfähigeren Systemen wie der Agrarökologie übergehen“. Nicht in der Studie berücksichtigt sind übrigens jene Fälle, bei denen Vergiftungen mit Pestiziden absichtlich herbeigeführt wurden, zum Beispiel bei Suiziden von Landwirt*innen. Die Autor*innen verweisen lediglich auf eine systematische Auswertung von Daten aus den Jahren 2006 bis 2015, die ergab, dass im Zeitraum 2010-2014 jährlich zwischen 110.000 und 168.000 Menschen ihrem Leben mithilfe von Pestiziden ein Ende setzten. (ab)

27.11.2020 |

Biologische Vielfalt: „Bankrotterklärung“ der Bundesregierung

Kiew
Vögel in der Agrarlandschaft sind bedroht (Foto: CC0)

Deutschland hinkt beim Artenschutz seinen Zielen meilenweit hinterher. Dies geht aus dem Indikatorenbericht 2019 zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt hervor. Von 18 Indikatoren sind lediglich im Bereich „Landschaftszerschneidung“ und „Nachhaltige Forstwirtschaft“ Erfolge zu verbuchen. Bei den übrigen Indikatoren rückt das Erreichen der Ziele in weite oder sehr weite Ferne. Das zeigt der Bericht, den die Bundesregierung zunächst als Unterrichtung Anfang November dem Bundestag vorlegte und der nun auch auf der Webseite des Umweltministeriums veröffentlicht ist. Bei fünf Indikatoren (Gefährdete Arten, Ökologischer Gewässerzustand, Flächeninanspruchnahme, Ökologischer Landbau und Bewusstsein für biologische Vielfalt) schneidet Deutschland mit einem Zielerreichungsgrad von weniger als 50% am schlechtesten ab. „Die bisher ergriffenen Maßnahmen reichen nicht aus, die in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt gesetzten Ziele in allen Teilaspekten zu erreichen. Die Indikatorenentwicklung verdeutlicht, dass zum Teil die Trendwende noch nicht geschafft wurde, zum Teil die Zielerreichung nur sehr langsam vorankommt“, lautet die traurige Gesamtbilanz. Zwar seien viele Maßnahmen bereits in Angriff genommen worden, doch die daraus resultierenden positiven Wirkungen ließen oft noch auf sich warten.

Deutschland ist im Rahmen der 2007 beschlossenen nationalen Biodiversitätsstrategie verpflichtet, fortlaufend zu bewerten, ob die gesetzten Ziele erreicht werden. Nach 2010 und 2014 liegt nun der dritte Bericht vor, der zu fünf Themenfeldern und 18 Indikatoren Bilanz zieht. Für 13 Indikatoren gibt es quantitative Ziele. Zu den fünf Indikatoren, bei denen wir mit einem Zielerreichungsgrad von unter 50% noch „sehr weit“ vom Ziel entfernt sind, zählen die gefährdeten Arten. Bis 2020 sollte sich für den größten Teil der Rote-Liste-Arten die Gefährdungssituation um eine Stufe verbessern. Um das zu schaffen, müsste sich die Gefährdung bei 4.419 von derzeit 13.908 bilanzierten Arten um eine Stufe verringern, ohne dass sich die Lage für die übrigen Arten verschärft. Doch für das Jahr 2016 lag der Indikatorenwert noch bei 19%. „Um den Zielwert von 11% bis zum Jahr 2020 zu erreichen, sind große Anstrengungen im Artenschutz notwendig“, heißt es im Bericht. Die Zielwerte für die Indikatoren „Ökologischer Gewässerzustand“ und „Bewusstsein für biologische Vielfalt“ sollten bereits im Jahr 2015 erreicht werden, werden aber nach wie vor „sehr weit“ verfehlt. Grundsätzlich alle Wasserkörper sollten sich bis dahin mindestens einen guten ökologischen Zustand aufweisen. Doch nur 8% der Wasserkörper befinden sich aktuell in einem guten oder sehr guten ökologischen Zustand. „Die häufigsten Ursachen für Beeinträchtigungen sind Veränderungen der Gewässerstruktur und hohe Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft“, so die Autor*innen. Bei 75% der Bevölkerung sollte bis 2015 ein zumindest ausreichendes Bewusstsein für die biologische Vielfalt geschaffen werden, doch das attestierte die Bundesregierung für 2017 nur etwa 25% der Deutschen.

Ebenfalls „sehr weit“ hinterher hinken wir bei der Flächeninanspruchnahme. Bis 2030 sollte die durchschnittliche tägliche Neuinanspruchnahme für Siedlungs- und Verkehrszwecke auf höchstens 30 Hektar begrenzt werden. Das Vierjahresmittel ist von 129 ha pro Tag im Jahr 2000 zwar auf 58 ha in 2017 gesunken, doch trotz des positiven Trends reicht das aktuelle Tempo nicht aus. Das gleiche gilt für den Ökolandbau, dessen Anteil an der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche bis 2030 auf 20% erhöht werden soll. „Über die Jahre 2007 bis 2018 bestand ein statistisch signifikant positiver Trend und der Flächenzuwachs in den Jahren 2016 und 2018 lag deutlich höher als in den Jahren zuvor“, heißt es. „Das 20-%-Ziel ist jedoch bei weitem noch nicht erreicht.“ Bei den übrigen sechs quantitativen Indikatoren lag der aktuelle Wert mit 50-80% noch „weit“ vom Ziel entfernt. Das betrifft auch „Artenvielfalt und Landschaftsqualität“. Dem Indikator liegen Angaben über die Entwicklung der Bestände von 51 Vogelarten zugrunde, die die wichtigsten Landschafts- und Lebensraumtypen in Deutschland abbilden. Er lag Stand 2015 bei 70% des Zielwertes, sodass bei gleichbleibender Entwicklung eine Zielerreichung von 100% bis 2030 nicht möglich ist. Negativen Einfluss hat vor allem der Teilindikator Agrarland, der bei nur 59% des Zielwertes liegt und sich in den letzten 10 Jahren verschlechterte. „In der Agrarlandschaft gehen die meisten Indikatorvogelarten, die auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, – regional unterschiedlich – aufgrund der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung nach wie vor im Bestand zurück. Ob die eingeleiteten Agrarumwelt- und Naturschutzmaßnahmen mittel- und langfristig zur Umkehr des negativen Trends beim Teilindikator Agrarland führen, ist derzeit offen. Neben diesen Maßnahmen ist eine nachhaltige Nutzung in der Fläche unbedingt erforderlich.“

Auch bei der Reduzierung des Stickstoffüberschusses der Landwirtschaft hat Deutschland noch viel zu tun. Von 1992 bis 2015 ist der Stickstoffüberschuss von 116 kg/ha und Jahr auf 94 kg/ha gesunken. „Die Anreicherung von Nährstoffen in Binnen- und Küstengewässern zeigt, dass diffuse Einträge u. a. von Stickstoffverbindungen insbesondere aus Gebieten mit intensiver landwirtschaftlicher Bodennutzung und Viehhaltung nach wie vor zu hoch sind. Landwirtschaftliche Stickstoffüberschüsse, insbesondere in Regionen mit hohen Viehbesatzdichten, können erheblich zur Nitratbelastung des Grundwassers beitragen“, schreiben die Autor*innen. Um das Ziel von 70 kg/ha im Jahresmittel 2028-2032 zu erreichen, müssten u.a. eine Steigerung der Effizienz der Anwendung von Stickstoffdüngern und weitere Maßnahmen zur Reduzierung der Stickstoffeinträge verfolgt sowie Maßnahmen zu einer stickstoffeffizienteren Fütterung entwickelt werden. Auch die Eutrophierung der Ökosysteme bleibt ein ungelöstes Problem. 2015 wurden auf 68% der bewerteten Flächen empfindlicher Ökosysteme die Belastungsgrenzen überschritten. Bei den Indikatoren Invasive Arten, Gebietsschutz, Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen, Genetische Vielfalt in der Landwirtschaft sowie Dauer der Vegetationsperiode ist der Status „nicht bestimmbar“. Doch der Anteil gefährdeter einheimischer Nutztierrassen war 2017 mit etwas mehr als 70% sehr hoch. Und die Dauer der Vegetationsperiode verlängerte sich um etwa 16 Tage seit 1951 auf zuletzt 235 Tage in 2018.

Daher muss die Bundesregierung in der Gesamtbilanz einräumen, dass „bei gleichbleibender Entwicklung ohne besondere zusätzliche Anstrengungen die für die Jahre 2020 oder 2030 geltenden Zielwerte aller Voraussicht nach nicht erreicht werden können." Die Erhaltung der biologischen Vielfalt bleibe für Deutschland eine zentrale Zukunftsaufgabe. Steffi Lemke, Parlamentarische Geschäftsführerin und Naturschutzpolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion, findet deutlichere Worte: „Der Indikatorenbericht ist eine Bankrotterklärung für die Naturschutzpolitik der Bundesregierung. Die nun vorangetriebene Reform der EU-Agrarpolitik wird das Arten-Aussterben nur weiter zementieren. Das beibehaltene System der flächengebundenen Agrarzahlungen bei nur minimalen Öko-Leistungen ist Gift für die biologische Vielfalt“, schreibt sie auf Facebook. (ab)

20.11.2020 |

Ungesunde Ernährung: 4 Milliarden könnten 2050 übergewichtig sein

Fett
2050: 1,5 Milliarden Fettleibige (Foto: CC0)

Wenn sich die derzeitigen Ernährungstendenzen fortsetzen, werden Unter- und Überernährung die menschliche Gesundheit weltweit künftig stark belasten, während Lebensmittelverschwendung und die Belastung der Umwelt weiter zunehmen. Das ist die düstere Prognose eines Teams des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). In einer neuen Studie im Fachjournal „Scientific Reports“ warnen die Wissenschaftler*innen, dass sich die Kluft zwischen jenen, die von der Hand im Mund und jenen, die im Übermaß leben, vergrößern wird. „Wenn der beobachtete Ernährungswandel weiter anhält, werden wir das Ziel der Vereinten Nationen nicht erreichen, den Hunger weltweit zu besiegen”, erklärt der Hauptautor der Studie, Benjamin Bodirsky. „Gleichzeitig wird unsere Zukunft von Übergewicht und Fettleibigkeit in einem extremen Ausmaß geprägt sein.“ Im Jahr 2050 könnten schon mehr als 4 Milliarden Menschen übergewichtig sein. Das gefährdet nicht nur die Gesundheit: „Die zunehmende Verschwendung von Nahrungsmitteln und der steigende Konsum von tierischem Eiweiß führen dazu, dass wir die Umweltfolgen unseres Agrarsystems nicht mehr beherrschen können. Ob Treibhausgase, Stickstoffverschmutzung oder Entwaldung: Wir gehen an die Belastungsgrenzen unseres Planeten – und darüber hinaus“, so Bodirsky.

Die Studie untersucht die Umstellung globaler Ernährungsgewohnheiten über mehrere Jahrzehnte, von 1965 bis 2100. Die Forscher nutzten ein Open-Source-Modell, um vorherzusagen, inwiefern Faktoren wie Bevölkerungswachstum, Alterungsprozesse, Zunahmen bei Körpergröße und Body-Mass-Index, abnehmende körperliche Aktivität und mehr Lebensmittelabfälle den künftigen Nahrungsmittelbedarf beeinflussen werden und welche Folgen dies für die Umwelt hat. Die Ergebnisse sind besorgniserregend: Zwischen 2010 bis 2050 könnte der Anteil übergewichtiger Menschen an der Weltbevölkerung von 29% auf 45% steigen. 4 Milliarden Menschen wären dann Mitte des Jahrhunderts übergewichtig. Der Anteil fettleibiger Menschen könnte sich im selben Zeitraum von 9% auf 16% erhöhen. 1,5 Milliarden Menschen wären dann 2050 fettleibig, während gleichzeitig immer noch 500 Millionen Menschen an Unterernährung leiden würden. Drei Weltkarten für 1965, 2010 und 2050 zeigen eindrücklich, wie die Welt immer dicker wird. Ein Grund für die zunehmende Überernährung ist die Verlagerung der Ernährung von pflanzlicher, wenig verarbeiteter Kost hin zu unausgewogenen, hochverarbeiteten Speisen. Statt Vollkornprodukten und Hülsenfrüchten bestimmen zunehmend tierische Eiweiße, Zucker und Fett den Speiseplan. „Ungesunde Ernährung ist das weltweit größte Gesundheitsrisiko“, erklärt Ko-Autorin Sabine Gabrysch. „Viele Länder in Asien und Afrika kämpfen derzeit noch mit Unterernährung und den damit verbundenen Gesundheitsproblemen. Gleichzeitig sind sie zunehmend auch mit Übergewicht und in der Folge mit einer steigenden Belastung durch Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs konfrontiert.“

Bereits jetzt bedecken Acker- und Weideland für die Lebensmittelproduktion rund ein Drittel der globalen Landfläche und unser Ernährungssystem ist für fast ein Drittel der globalen Ausstoßes von Treibhausgasen verantwortlich. Wenn aber die aktuellen Trends anhalten, wird die weltweite Nachfrage nach Nahrungsmitteln zwischen 2010 und 2050 um etwa 50% steigen und die Nachfrage nach tierischen Produkten wie Fleisch und Milch wird sich verdoppeln, rechnen die Wissenschaftler vor. Dies würde immer mehr Land für unsere Ernährung erfordern. „Mit der gleichen Landfläche könnten wir aber viel mehr pflanzliche Nahrungsmittel für den Menschen produzieren als tierische“, betont Ko-Autor Alexander Popp. „Einfach gesagt: Wenn immer mehr Menschen immer mehr Fleisch essen, gibt es weniger pflanzliche Nahrung für die anderen – und wir brauchen mehr Land für die Nahrungsmittelproduktion, was dazu führen kann, dass Wälder abgeholzt werden. Die vermehrte Tierhaltung erhöht in der Folge den Ausstoß von Treibhausgasen.“ Doch wie sollen die Menschen motiviert werden, vom Burger auf die Gemüsepfanne umzusteigen? Und wie kann die Verschwendung von Lebensmitteln gestoppt werden?

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass eine Transformation der Ernährungssysteme noch aussteht. „Bisher kann kein Land als Paradebeispiel für eine erfolgreich durch die Politik angestoßene Reduzierung der Fettleibigkeit, des Fleischkonsums und der Lebensmittelverschwendung dienen“, so die Autor*innen. „Wir brauchen dringend politische Maßnahmen, um eine Ernährungsumgebung zu schaffen, die gesundes Essverhalten fördert”, erklärt Gabrysch. Sowohl ärmere als auch reichere Bevölkerungsschichten ernähren sich mangelhaft – es fehlt an Wissen über eine gesunde Lebens- und Ernährungsweise, beklagen die Wissenschaftler. Individuelle Ernährungsentscheidungen und Maßnahmen des Privatsektors seien nicht ausreichend. Es brauche entschlossene politische Steuerung und mehrerer integrierter Politikinstrumente. „Dazu könnten verbindliche Vorschriften gehören, welche die Werbung für ungesunde Snacks regulieren sowie nachhaltige und gesunde Mahlzeiten in Schulen, Krankenhäusern und Kantinen sicherstellen. Eine stärkere Konzentration auf Ernährungsbildung ist ebenfalls wichtig, von der Früherziehung im Kindergarten bis zur Beratung durch Ärzte und Krankenschwestern. Was wir essen ist von entscheidender Bedeutung – sowohl für unsere eigene Gesundheit als auch für die unseres Planeten.“ (ab)

16.11.2020 |

Wert der Bestäubung durch Insekten höher als bisher angenommen

Sonnenblume
Bestäuber zu Besuch (Foto: A. Beck)

Der ökonomische Wert der Bestäubungsleistung durch Insekten dürfte weitaus höher sein als bisher vermutet: Allein in Deutschland generieren Bienen, Schmetterlinge und andere Bestäuber jedes Jahr einen Wert von 3,8 Milliarden Euro. Ihr weltweiter volkswirtschaftlicher Nutzen soll sich gar auf eine Billion US-Dollar belaufen. Das ist das Ergebnis einer Simulationsstudie von Wissenschaftlern der Universität Hohenheim, die im Fachblatt „Ecological Economics“ veröffentlicht wurde. Dass die Landwirtschaft ohne die kostenlose Dienstleistung der unzähligen tierischen Helfer bei der Bestäubung von Pflanzen und Bäumen alt aussähe, ist kein Geheimnis. In unseren Breitengraden sind es vor allem Honigbienen und ihre wilden Verwandten, Käfer, Schmetterlinge und andere Insekten, die Pollen von einer Pflanze zur nächsten tragen, während in den Tropen verstärkt auch Fledermäuse und Kolibris am Werk sind. Mehrere Studien haben bereits versucht, den Wert dieser Leistung zu beziffern. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES schätzte 2016 den Wert der tierischen Bestäubung auf jährlich zwischen 235 und 577 Milliarden US-Dollar. Eine dieses Jahr erschienene Studie geht davon aus, dass sich der Wert der Bestäubungsleistung von Honigbienen in den USA auf 6,4 Milliarden Dollar beläuft, während dort Wildbienen einen Produktionswert von 1,5 Milliarden Dollar pro Jahr schufen.

Die Hohenheimer Wissenschaftler berechnen nun mit einem neuen Bewertungsansatz, wie teuer uns der schlagartige Wegfall aller bestäubenden Tiere auf den Verbrauchernutzen in Deutschland und weltweit zu stehen käme und zwar direkt im Anschluss an den Ausfall der Bestäubungsleistung. „Bisher wurden solche Schätzungen auf der Basis von Annahmen zur langfristigen Anpassung der Agrarsysteme errechnet“, erläutert Apl. Prof. Dr. Christian Lippert. „Das ist aus unserer Sicht jedoch nicht korrekt, weil die langfristigen Anpassungsreaktionen sowohl der Agrarökosysteme als auch von Angebot und Nachfrage nicht absehbar sind.“ Deshalb simulierten die Wissenschaftler den wirtschaftlichen Verlust nur kurzfristig für das Jahr unmittelbar nach dem hypothetischen Ausfall aller Bestäuber, denn danach würden andere Mechanismen greifen und einen Teil wieder kompensieren. „So könnten in der Landwirtschaft beispielsweise verstärkt selbst- und/oder windbestäubte Sorten angebaut werden“, fügt Lippert hinzu. Zudem könnten die Landwirte verminderte Ernten bis zu einem gewissen Grad durch Preisaufschläge ausgleichen. Das Nachsehen hätten die Verbraucher, die aufgrund der gestiegenen Preise tiefer in die Tasche greifen müssten. „Deswegen wäre in jedem Fall der größte Teil des volkswirtschaftlichen Verlusts von den Verbrauchern zu tragen.“

Für die Simulationen nutzten die Wissenschaftler bereits bekannte Abhängigkeitsfaktoren. So verwendeten sie für verschiedene Nutzpflanzenarten Daten zum Anteil am Ertrag, der auf die Bestäubung durch tierische Helfer zurückzuführen ist. Bei Äpfeln und Kirschen ist der Anteil recht hoch: im Schnitt ist etwa 65% des Ertrags der Bestäubung durch Tiere zu verdanken. Bei manchen Pflanzen wie beim Kürbis liegt der Anteil sogar bei 95%. Getreidearten wie Weizen und Reis hingegen sind Wind- oder Selbstbestäuber und benötigen keine fremde Hilfe. „Für Deutschland konnten wir uns auf veröffentlichte Schätzungen zur Nachfragereaktion stützen“, erklärt Mitautor Dr. Arndt Feuerbacher. „Da die in der Literatur angegebenen Abhängigkeitsfaktoren jedoch einer großen Schwankungsbreite unterliegen, haben wir – basierend auf Annahmen zu deren Wahrscheinlichkeiten – Simulationen zu den möglichen Ertragsverlusten durchgeführt, um so einen Schwankungsbereich für den Verbraucherverlust zu ermitteln.“ Im Durchschnitt der Simulationen ergeben sich dabei die genannten 3,8 Milliarden Euro. Dieser jährliche Betrag würde rechnerisch ausreichen, um auf der Hälfte der deutschen Agrarflächen biodiversitätsfördernde Agrarumweltprogramme zu finanzieren. Diese können auf eine Änderungen der Bewirtschaftungspraktiken und eine Diversifizierung der Agrarlandschaft abzielen. Der weltweit angenommene Wert der Bestäubungsleistung von einer Billion US-Dollar ist doppelt so hoch wie die IPBES-Schätzung und entspricht 1% des weltweiten Bruttoinlandsprodukts.

Die Autoren der Studie verweisen auch darauf, dass ihre Schätzungen nur ansatzweise den Wert der Bestäuber beziffern können. „Natürlich können wir so nicht alle ökologischen Auswirkungen eines solch katastrophalen Ereignisses auf die Umwelt und den Menschen erfassen, die weit über die bloßen Schäden durch einen geringeren Ertrag hinausgehen“, betont Mitautor Dr. Manuel Narjes. „Aber solche Schätzungen können das Bewusstsein für die Bedeutung intakter Ökosysteme schärfen und so einen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt leisten.“ (ab)

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